Magic Marisa Marisa Mell – Weltstar aus Graz

Wie kaum eine andere Schauspielerin steht sie für das schrille, hemmungslose europäische Kino der 1960er- und 1970er-Jahre: Marisa Mell. Für Presse und Publikum ist das »Mädchen mit den Katzenaugen« als »österreichische Sophia Loren« eine der »Schönsten der Welt«. Offenherzig erotisch erscheint sie neben den männlichen Attraktionen von damals: Marcello Mastroianni, Michel Piccoli, John Phillip Law, Helmut Berger und Tony Curtis.

Marisa Mell wird am 24. Februar 1939 als Marlis Moitzi in Neumarkt geboren und wächst in Graz auf. Sie besucht eine Handelsschule, doch sie möchte Schauspielerin werden und nimmt an der Theaterschule Gaudernak Unterricht.

»Am liebsten imitierte ich Sophia Loren.
Ich versuchte, mich mit meinen bescheidenen Mitteln zu schminken wie sie, wobei mir zugute kam, dass unsere Augen ähnlich geschnitten sind, und mein Mund – wie der ihre – viel zu groß war.«

Marisa Mell

1957 verlässt sie die Steiermark Richtung Wien und studiert am Max Reinhardt Seminar. Unter ihren Kolleginnen sind Erika Pluhar, Senta Berger und Heidelinde Weis. Zwei Jahre später feiert sie – schon unter dem Namen Marisa Mell – ihre erste Premiere in José-André Lacours »Jahrgang 59« am Theater in der Josefstadt.

Ihr erstes Engagement beim Film hat Marisa Mell in DAS NACHTLOKAL ZUM SILBERMOND (BRD 1959) unter der Regie von Wolfgang Glück. Sie tritt in dem mit Erotik und Jazz gespickten Abenteuer um Mädchenhandel und Juwelenschmuggel als Tänzerin Liliane auf. Mit ihrem beherzten Widerstand hilft sie, die kriminellen Machenschaften zu beenden – und hinterlässt von ihrem zunächst zaghaften Erscheinen bis zur selbstbewussten Stärke nachhaltig Eindruck.

Filmausschnitt DAS NACHTLOKAL ZUM SILBERMOND, Filmarchiv Austria
Marisa Mell als Tänzerin Liliane in DAS NACHTLOKAL ZUM SILBERMOND, Filmarchiv Austria

»Marisa Mell wirkt sinnlich und zugleich hübsch, scheint intelligent zu sein und ist auf jeden Fall eine erfreuliche Abwechslung im Wald der niedlichen blonden Wienerinnen, die Österreich dem deutschen Film zu exportieren pflegt.«

Funk und Film, 1959
Plakat für AM GALGEN HÄNGT DIE LIEBE, Filmarchiv Austria

In dem Antikriegsdrama AM GALGEN HÄNGT DIE LIEBE (Edwin Zbonek, BRD 1960), einer Verfilmung des Theaterstücks »Philemon und Baucis« von Leopold Ahlsen, spielt Marisa Mell die Partisanengeliebte Alka. Sie meistert ihren Part neben deutsch-österreichischen Schauspielgrößen der Nachkriegsjahre wie Carl Wery, Annie Rosar und Sieghardt Rupp furios und mit großer Leidenschaft.

Marisa Mell erhält einen 5-Jahres-Vertrag der Schönbrunn-Film, der 1962 im Zuge eines Gerichtsstreits gelöst wird. Zuvor dreht sie 1960 mit Hermann Leitner das Sittendrama WEGEN VERFÜHRUNG MINDERJÄHRIGER. Darin spielt sie die »frühreife« Schülerin Inge, die sich in ihren Lehrer verliebt und ihn verführt.

In einer Szene entkleidet sie sich, um in ihr Nachthemd zu schlüpfen. Heute belanglose, aber damals »anzügliche« Szenen wie diese sowie das Thema weiblicher Sinnlichkeit und Verführung genügten für das konservative Nachkriegsösterreich, um Marisa Mell das Etikett des »Sexkätzchens« zu verleihen.

Marisa Mells Autogrammkarten ihrer Anfangsjahre, um 1960, Filmarchiv Austria
Marisa Mell als Sekretärin Lilian Ranger in DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE, Filmarchiv Austria

Weitere deutsche und österreichische Produktionen folgen. 1962 steht Marisa Mell in der Edgar-Wallace-Verfilmung DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE (Helmut Ashley, BRD 1962) mit Christopher Lee und Klaus Kinski vor der Kamera. Als Sekretärin Lilian Ranger besticht sie darin mit stilvollendeter Schlagfertigkeit.

Filmausschnitt DAS RÄTSEL DER ROTEN ORCHIDEE, Filmarchiv Austria

Die Rolle in Rolf Thieles VENUSBERG (BRD 1963) festigt ihren Ruf der erotischen Schauspielerin. In dem Film versammelt der für starke weibliche Figuren bekannte Regisseur (DAS MÄDCHEN ROSEMARIE, BRD 1958) sieben Frauen beim Warten auf und Sprechen über einen Mann in einem abgelegenen Haus. Marisa Mell durchwandert dieses als geheimnisvolle Florentine, körpergewordene Sinnlichkeit. Beim Schwimmen im Pool tritt sie zum ersten Mal nackt auf und setzt durch, dass beim Dreh der Szene keine Männer anwesend sind. Die Kamera führt die Standfotografin Li Erben. Von der Presse wird sie dafür belächelt.

Marisa Mell als geheimnsivoll-sinnliche Florentine in VENUSBERG (1963), Filmarchiv Austria

»Marisa Mell, Sexbömbchen mit Klimperwimpern, gibt vor, keusch und moralisch, nur hehrer ›Kunst‹ dienen zu wollen.«

Wiener Wochenblatt, 1963

Marisa Mell erscheint wandlungsfähig in allen Genres vom Drama über Krimi bis zum Western – in Letzteren schon am Beginn ihrer Karriere mit zwei österreichisch-deutschen Produktionen. DER RUF DER WILDGÄNSE (Hans Heinrich, A 1961) ist eine Verfilmung des Erfolgsromans von Martha Ostenso, in der sie als Judith Gare mit Ewald Balser und Gertraud Jesserer vor der Kamera steht.

Marisa Mell als Judith Gare in DER RUF DER WILDGÄNSE, Filmarchiv Austria

In DER LETZTE RITT NACH SANTA CRUZ (Rolf Olsen, BRD/A 1964) dreht sie an der Seite von Mario Adorf, Marianne Koch und Sieghardt Rupp. Klaus Kinski gibt darin seinen Einstand als Westernikone.

Ihren internationalen Durchbruch feiert Marisa Mell mit FRENCH DRESSING (GB 1964), dem Spielfilm-Debüt von Ken Russell.

Sie spielt eine Persiflage von Brigitte Bardot, die (laut)stark und temporeich gegen die Reduktion auf ihre Schönheit kämpft. Einmal tanzt Marisa Mell aka Françoise Fayol mit James Booth und Roy Kinnear um einen brennenden Haufen voller Gummipuppen (ihren Konterfeis), ein andermal liefert sie sich einen wortgewandten Schlagabtausch mit ihrem Produzenten.

Filmausschnitt aFRENCH DRESSING, Filmarchiv Austria

Die Rolle ist wie aus Leben und Karriere von Marisa Mell selbst gegriffen. Ohne die subversive Seite des Films zu beachten, schreibt die Presse sie endgültig als Sexsymbol fest und spricht von ihr nun als Österreichs »Sexexport für den internationalen Filmmarkt«.

»Was kann ich dafür, daß ein frustrierter Journalist seine Sexträume in die Schreibmaschine tippt?«

Marisa Mell

Nach Wien, Berlin, London und Paris lässt sich Marisa Mell in Rom nieder. Die Stadt wird ihre private und berufliche Heimat, das schrille, hemmungslose italienische Kino ihr lustvolles Betätigungsfeld. Mit ihrem Auftritt als Thelma in dem Publikumshit CASANOVA ’70 (Mario Monicelli, I/F 1965) an der Seite von Marcello Mastroianni wird »La Mell« zum gefeierten Star. Stilsicher und voll betörender Eleganz gibt sie die amouröse Ehefrau eines tödlich eifersüchtigen Ehemanns.

Marisa Mell wird begehrtes It-Girl, Diva und Femme fatale des europäischen Jetsets und italienischen Kinos in seiner Glanzzeit der 1960er- und 1970er-Jahre. Sie ist unter anderem am Cover des Stern, Paris Match, Vogue und Playboy widmen ihr ausführliche Artikel. Mode, Glamour, Abenteuer und Drama prägen auch ihr Leben.

Sie befindet sich am Höhepunkt ihrer Karriere, als sie Vincente Minelli 1967 für die Rolle der Mata Hari im gleichnamigen Musical an den Broadway holt. Mit intensivem Gesangs- und Tanztraining sowie unzähligen Kostümwechseln ist es eine schauspielerische Herausforderung. Die Premiere in Washington gerät jedoch zu einem technischen und künstlerischen Debakel. Das Stück schafft es nicht auf den Spielplan.

Ausschnitt aus dem Artikel »Marisa Mell: The Beauty Broadway won’t see«, LOOK, 1968, Nachlass Emil Gruber

In den 1960er-Jahren feiert Marisa Mell ihre größten Filmerfolge. Sie verkörpert Frauenfiguren mal offenherzig und mal undurchdringlich, zumeist ausdrucksstark und verführerisch. Neben CASANOVA ’70 ist es vor allem die Comic-Verfilmung DIABOLIK (Mario Bava, I/F 1968), die ihren heutigen Kultstatus begründet.

Produziert von Dino de Laurentiis, musikalisch untermalt von Ennio Morricone und eingebettet in eine futuristische Szenografie erhält die Comic-Vorlage der Schwestern Angela und Luciana Giussani eine unverkennbare Filmsprache. Marisa Mell spielt Eva Kant, die Geliebte und Partnerin des Superganoven Diabolik (John Phillip Law), der dieser jeden Wunsch von Augen und Körper abliest. Gegenspieler auf der Seite des Gesetzes ist Michel Piccoli.

Auch die Doppelrolle der Ehefrau Susan und Stripperin Monica in UNA SULL’ALTRA (NACKT ÜBER LEICHEN | Lucio Fulci, I/F/E 1969) ist prototypisch für das Schaffen von Marisa Mell: Einerseits als Ehefrau spröde, aber abgründig verhängnisvoll, gibt sie andererseits eine freizügige Stripperin, der sie unbefangene Natürlichkeit und Spannung verleiht.

Teil ihres Auftritts ist ein Striptease, der schließlich zu ihrem Standardrepertoire wird. Bezeichnend für ihr Schauspiel sind aber nicht nur Schönheit und Erotik. Marisa Mell drückt Souveränität und Vitalität aus, die ihr eine außergewöhnliche Präsenz verleihen. Dennoch wird sie von der (männlich dominierten) Film- und Medienwelt lediglich als erotische Schönheit und schmückendes Beiwerk wahrgenommen.

Filmausschnitt UNA SULL'ALTRA, Filmarchiv Austria

»Ich möchte endlich nicht mehr als Busenstar gelten!«

Marisa Mell

Die Rolle der ELISABETH – KAISERIN VON ÖSTERREICH im gleichnamigen Fernsehfilm von 1972 liegt Marisa Mell besonders am Herzen. Sie will sie ohne Verklärung als sensible und doch starke, aber auch launische Persönlichkeit zeigen, denn »Elisabeth war viel herber, als es uns der Maruschka mit seiner Sissi vormachte.«

Elisabeth ist eine Frauenfigur, die sie bewundert und mit der sie sich auf gewisse Weise identifiziert. Der Film, der ursprünglich den Titel »Ich möchte eine Möwe sein« tragen sollte, enthält dokumentarische Elemente, doch die Inszenierung wirkt missglückt und schwerfällig.

»Jawohl, die wohlproportionierte Schauspielerin zeigt diesmal nicht mehr nacktes Fleisch, als ›schicklich‹ ist! Aber ein Stückchen ihres makellosen Busens wird wohl doch auf der Mattscheibe blitzen. Und geben wir’s zu: Es wäre schade, wenn man den Heimkino-Besuchern diese Freude vorenthalten würde.«

Kurier, 1972

In den 1970er-Jahren erscheint Marisa Mell in einer Reihe von vorwiegend italienischen und spanischen Filmen, die kaum künstlerische Herausforderungen oder Publikumserfolge bringen und heute nur noch Fans bekannt sind, wie ALTA TENSIÓN (Julio Buchs, E/I 1972), INFAMIA TRIANGEL (Giovanni d’Eramo, E/I 1974), PENA DE MUERTE (Jorge Grau, E/I 1974), LA ENCADENADA (A DIARY OF A MURDERESS | Manuel Mur Oti, E 1975).

Italienisches Plakat von ALTA TENSIÓN (DOPPIA COPPIA CON REGINA | Julio Buchs, E/I 1972), Nachlass Emil Gruber

Eine US-Produktion – MAHOGANY (MAHAGONI | Tony Richardson/Berry Gordy, US 1975) an der Seite von Diana Ross – ist ebenso darunter wie eine Zusammenarbeit mit dem österreichischen Regisseur Peter Patzak. In dessen PARAPSYCHO – SPEKTRUM DER ANGST (BRD 1975) knüpft Marisa Mell an ihre Neigung zum Übersinnlichen an. Sie ist zeitlebens ebenso gläubig wie abergläubisch.

Marisa Mell als Greta in PARAPSYCHO – SPEKTRUM DER ANGST

Mit CASANOVA & CO. (Franz Antel alias François Legrand, A/BRD/I/F 1977) feiert Marisa Mell an der Seite von Tony Curtis einen letzten Höhepunkt ihrer Karriere, die jedoch schon am Versiegen ist, was gleichermaßen für Tony Curtis gilt.

Die von Tony Curtis  verkörperte Figur des »echten« Casanova ist etwas in die Jahre gekommen, bis ihm Marisa Mell als seine getreue Geliebte Francesca, Herzogin von Cornaro, zu neuer Lebenskraft verhilft. Es ist ein typisches, in vielerlei Hinsicht entgleisendes Lustspiel des österreichischen Regiezampanos des Unterhaltungsfilms, der sich damit in Wettstreit mit Federico Fellinis CASANOVA begibt. Während die Kamera die barbusigen Körper der jüngeren Kolleginnen erkundet, bleibt Marisa Mell auffallend »bedeckt«.

Ausschnitt aus CASANOVA & CO., Filmarchiv Austria

Der männliche Blick prägt das Bild von Marisa Mell. Sie macht ihn sich aber auch selbst zu eigen. Als sie mit Ende 30 schon als zu alt für die Filmbranche und insbesondere die Spezialisierung auf Erotik gilt – die Presse nennt sie »alternde Schauspielerin« und »einstige Sexbombe« – beweist sie der Welt mit erotischen und schließlich auch pornografischen Foto- und Filmaufnahmen das Gegenteil.

Marisa Mell in Weltstars der Erotik 1985, Filmarchiv Austria

Sie entstehen auch als Werbemaßnahmen für Filme, wie 1977 die Fotostory »L’Orgia« mit Helmut Berger im Playboy für LA BELVA COL MITRA (DER TOLLWÜTIGE | Sergio Grieco, I 1977). Alternativtitel wie DIE BESTIE MIT DEM MASCHINENGEWEHR oder DU BRUTALES SCHWEIN! verweisen auf die gewalttätige Handlung des Films, der zu Quentin Tarantinos Vorbildern gehört und in dessen JACKIE BROWN zitiert wird. Auch Oliver Stones NATURAL BORN KILLERS nimmt Bezug darauf.

Marisa Mell und Helmut Berger in der Fotostory »L’Orgia«, Playboy, 1977, Nachlass Emil Gruber

»Ich hab nicht den Komplex, mich verstecken zu müssen. Ich genieße es, geliebt und begehrt zu werden. Ich finde es schön, wenn man tolle Fotos von mir macht und wenn ich sie gedruckt sehe.«

Marisa Mell

In den 1980er-Jahren spielt Marisa Mell wieder Theater, erstmals 1983 in »Das Eheterzett« (Eugène Labiche), mit dem sie durch Deutschland tourt. Anerkennung erhält sie 1986 für ihren Auftritt in »How the Other Half Loves« (Alan Ayckbourn) am Vienna’s English Theatre. Beim Film wird sie nur noch für B-Movies und Fernsehen, zumeist kleinere Nebenrollen, gebucht. Sie verarmt, leidet unter Alkoholexzessen und Existenzängsten.

Plakat FLOTTE TEENS – RUNTER MIT DEN JEANS! (Marino Girolami, I 1980), Nachlass Emil Gruber | SEIFENBLASEN (Alfred Ninaus, A 1985)

1990 feiert sie mit dem Theaterstück »Orvieto« von Franz Innerhofer in Wien eine letzte Premiere. Ihren letzten Filmauftritt hat Marisa Mell in Houchang Allahyaris I LOVE VIENNA (A 1991). Sie verkörpert eine Bauchtänzerin, die, nach einer Weltkarriere, gealtert in Wien strandet. Auch diese Rolle erscheint wie ein Spiegel ihres Lebens. Sie spielt sie mit Souveränität und Charme.

Marisa Mell bei den Dreharbeiten zu I LOVE VIENNA, Filmarchiv Austria

Marisa Mell erkrankt an Krebs und stirbt am 16. Mai 1992 mit nur 53 Jahren in Wien. Sie wird in kleinem Kreis am Kahlenberger Friedhof beigesetzt. Trotz eines filmischen Schaffens, das gut 70 Film- und Fernsehproduktionen umfasst, ist der »Weltstar aus Graz« heute kaum noch bekannt. Respekt und Wertschätzung blieben Marisa Mell viel zu oft versagt. Wenngleich der Großteil ihrer Filme heute vergessen ist, sprühen ihre Auftritte vor beinah magischer Vitalität. Eine in jeder Hinsicht beeindruckende Schauspielerin und Frau, die leidenschaftlich spielte und lebte: Magic Marisa – eine echte Wiederentdeckung!

Marisa Mell –
Weltstar aus Graz

Retrospektive im METRO Kinokulturhaus

Magic
Marisa

Ausstellung im Graz Museum

In Referenz:
Marisa Mell

Spezialprogramm der Diagonale

Filmarchiv Austria, 2023 | Text und Idee: Martina Zerovnik