Margareta Heinrich Filmaktivistin

Feministisch engagiert und mit einem starken Sinn für Gerechtigkeit beginnt Margareta Heinrich in den 1970er-Jahren Filme zu realisieren. In und mit ihren Filmen kämpft sie gegen patriarchale Strukturen und politische Missstände an. Unermüdlich setzt sie sich auch für bessere Bedingungen in der Filmbranche ein – eine Filmaktivistin durch und durch.

 

Das Filmarchiv Austria, das den Nachlass von Heinrich verwahrt, widmet der Filmemacherin anlässlich ihres 30. Todestages eine Retrospektive.

KINDHEIT UND JUGEND



Margareta Heinrich wurde am 6. Juli 1951 in Deutschkreutz, einem kleinen Ort im Burgenland, der sich an der ungarischen Grenze befindet, geboren. Über Margareta Heinrichs Zeit in Deutschkreutz ist wenig bekannt. Sie vermied es, über ihre Kindheit und Jugend zu sprechen. Die Familie hatte finanzielle Sorgen; die Verhältnisse, in denen Heinrich aufwuchs, waren bescheiden. Über die familiären Probleme wurde geschwiegen, Margareta Heinrich hat dieses Schweigen bis an ihr Lebensende fortgesetzt.

Jugendfotos Margareta Heinrich, 1970er-Jahre

Obwohl Heinrich eine wissbegierige Schülerin war, der das Lernen leichtfiel, konnte sie mangels finanzieller Ressourcen nach dem Abschluss der Pflichtschule keine höhere Schule besuchen. Im Alter von 14 Jahren begann sie deshalb eine Lehre als Verkäuferin im Textilgeschäft ihres Onkels.

Margareta Heinrich als Lehrling



Es verwundert kaum, dass diese Lage bei jemanden wie Heinrich, die laut Aussagen ihrer Schwester immer »aus sich und ihrem Leben etwas machen« wollte, Frust auslöste. Die Möglichkeiten in einem ländlichen Ort wie Deutschkreutz waren schließlich beschränkt.

Aufbruch nach Wien und Filmakademie



Margareta Heinrich in der WG Sonnenuhrgasse

Auf der Suche nach einem erfüllenden Beruf zog Heinrich mit 19 Jahren nach Wien. Durch ihren ersten Freund, der eine 16-mm-Kamera besaß, kam sie zum ersten Mal in Berührung mit dem Filmemachen. Die junge Frau erkannte schnell, dass der Film für sie ein geeignetes Medium ist, um sich ausdrücken zu können. Ein Jahr lang arbeitete sie bei einer Filmfirma und als Regieassistentin, dann beschloss sie, auf die Filmhochschule zu gehen:

»Mir ist klar geworden, daß mir der Weg ohne Filmhochschule
zu mühsam und zu aussichtslos ist, und so beschloß ich,
doch noch auf die Filmhochschule zu gehen. Jedoch stellte sich
schon bei der Aufnahmeprüfung heraus, daß sie erwarten, 
daß eine Frau Schnitt studiert und nicht Regie. Aber ich wußte
von Anfang an, daß ich Regie machen möchte: es hat mich das
gesamte Rundherum interessiert und eben nicht nur ein Ausschnitt.
Ich wollte mich durch das Filmemachen ausdrücken und das geht eben
nur über Regie oder Drehbuch.«

Margareta Heinrich in einem Interview mit Elke Schüttelkopf und Gabriele Mathes
Studienbuch von Margareta Heinrich, Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien, 1975-1982

Mit 24 Jahren begann Margareta Heinrich ihr Studium an der Filmakademie, wo sie – als einzige Frau in der Regieklasse – vor allem lernte, sich für sich selbst und ihre Filme einzusetzen. Immer wieder trug sie Kämpfe innerhalb der Filmhochschule aus, die sie auf die Arbeit als Regisseurin vorbereiteten: Sie lernte, sich trotz fehlender Unterstützung und Förderung für ihre Filme stark zu machen.

Ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Energie nutzte sie darüber hinaus, um sich für die Rechte von Frauen und Minderheiten einzusetzen. Ihre politischen und feministischen Ideale schlagen sich auch in ihren Filmen nieder, die sich mehrheitlich thematisch in zwei große Bereiche fassen lassen: Feminismus und Trikont. Margareta Heinrichs letzter Film TOTSCHWEIGEN bildet dabei einen dritten Themenblock, in dem es um Vergangenheitsbewältigung geht.

DER WEIBLICHE BLICK



Margareta Heinrich bei Dreharbeiten zu DURCH DICK UND DÜNN (1986)

Einer der Filme, bei denen Heinrich ihr Durchsetzungsvermögen unter Beweis stellen musste, war ZWIELICHT, der auf Ingeborg Bachmanns Erzählung »Ein Schritt nach Gomorrha« basiert. Hatte sie mit dem Drehbuch zu ZWIELICHT Jahre zuvor die Aufnahmeprüfung an der Filmhochschule bestanden, so wollten ihr 1978 die Professoren eine Woche vor Drehbeginn die Umsetzung des Stoffes verbieten:

»Dieser Kampf, den ich in der Filmhochschule ausgetragen habe,
hat wahrscheinlich weniger mit mir als Person zu tun, als mit
dem weiblichen Blick, der diesen Film bestimmt,
und den lesbischen Beziehungen, die ich thematisiert habe.
Das hat mit der Geschichte zu tun, das bedroht die Männer.
Da muß man sie entweder überzeugen oder dagegen ankämpfen
oder beides, und das ist oft eine mühsame Arbeit!«

Margareta Heinrich in einem Interview mit Elke Schüttelkopf und Gabriele Mathes

Trotz der Stolpersteine, die dem Film anfangs in den Weg gelegt wurden, fiel die Rezeption von ZWIELICHT durchaus positiv aus.

Doina Weber und Margareta Heinrich bei Dreharbeiten zu ZWIELICHT (1978)

Nach ZWIELICHT entstand 1979 der Kurzfilm SCHREI LAUTER – eine Kritik an den Schönheitsidealen, denen Frauen in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind.

»SCHREI LAUTER war ganz klar ein Film für die Frauenbewegung,
um auf bestimmte Dinge hinzuweisen, das Augenmerk auf Dinge zu richten,
die gerade in der feministischen Diskussion entdeckt wurden,
wie zum Beispiel Körpersprache. Das hatte ganz klar das Ziel,
filmisches Anschauungsmaterial zu sein für eine feministische Bewegung.«

 

Ullabritt Horn in einem Interview mit Vrääth Öhner
Presseheft zu SCHREI LAUTER (1979/1980)

Neben Ingeborg Bachmann übte eine weitere Frau entscheidenden Einfluss auf Margareta Heinrich aus: Alexandra Kollontai. Zwei Filme widmete die Regisseurin der russischen (Kultur-)Revolutionärin, die sich im ausgehenden 19. Jahrhundert bzw. zu Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv für Frauenrechte eingesetzt hatte.

Margareta Heinrich bei Vorbereitungen zu ICH HABE VIELE LEBEN GELEBT (1982/1983)

ICH HABE VIELE LEBEN GELEBT (1982/1983) spürt in Dokumenten und Fotos den wichtigsten Stationen des Lebens von Kollontai nach, während GENOSSINNEN (1982/1983) eine Verfilmung von Alexandra Kollontais Erzählung »Schwestern« darstellt.

Flyer Filmladen zu ICH HABE VIELE LEBEN GELEBT (1982/1983) und GENOSSINNEN (1982/1983)

Beide Filme entstanden in Zusammenarbeit mit Ullabritt Horn, mit der Heinrich eine enge Freundschaft verband. Die beiden Filmemacherinnen hatten sich 1979 in einem Frauenplenum der Oberhausener Kurzfilmtage kennengelernt. SCHREI LAUTER war der erste Film, den die beiden Freundinnen gemeinsam realisiert hatten.

Margareta Heinrich und Ullabritt Horn während der Dreharbeiten zu IHR GLÜCKLICHEN AUGEN (1992)

1986 entstand Heinrichs erster abendfüllender Spielfilm für den ORF: DURCH DICK UND DÜNN. Das Drehbuch schrieb Margareta Heinrich gemeinsam mit Ullabritt Horn. Der Film erzählt die Geschichte von Eva, einer erfolgreichen Werbemanagerin, die jedoch mit ihrem Gewicht hadert und vergeblich versucht, abzunehmen. Sie durchläuft den Frust von missglückten Diätversuchen, bis sie schließlich erkennt, dass sie ihren Seelenfrieden vielleicht gar nicht in einem schlanken Körper findet, sondern viel eher durch Selbstakzeptanz. Der Film wurde 1988 mit dem Erich-Neuberg-Preis des ORF ausgezeichnet.

Während der Recherchen zu DURCH DICK UND DÜNN sammelten Heinrich und Horn so viel Material rund um das Thema Essen und Abnehmen, dass in Folge ein Dokumentarfilm entstand. MUND AUF – AUGEN ZU (1987) versucht, den gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen des Schlankheitswahns nachzugehen.

Nicht nur in ihren Filmen kämpfte Margareta Heinrich gegen die Ungerechtigkeit, die Frauen widerfuhr, an. So war sie 1986 neben VALIE EXPORT, Käthe Kratz, Heide Pils und Monika Maruschko Teil der »Aktion Filmfrauen«, die sich – mit Erfolg – für eine gerechtere Filmförderungspolitik einsetzte.

Titelblatt von FRAU UND POLITIK, Februar 1992
»Frauen müssen endlich dafür kämpfen, in die Kommissionen zu kommen.
Das verändert die Sichtweise. Männerkommissionen sind eine
wahnsinnig mühsame Geschichte. […] Da gehören die Strukturen verändert.
Und dazu mußt du ihnen einmal ordentlich auf die Pappen hauen
und sie unter Druck setzen, weil freiwillig passiert da nichts.«

 

Margareta Heinrich in einem Interview mit Elke Schüttelkopf und Gabriele Mathes
Margareta Heinrich bei Dreharbeiten zu IHR GLÜCKLICHEN AUGEN (1992)

Wie schon 1978 bei ZWIELICHT greift Heinrich für ihren letzten Spielfilm auf eine Erzählung von Ingeborg Bachmann zurück. In IHR GLÜCKLICHEN AUGEN (1992) erlebt die Protagonistin Miranda ihre extreme Sehschwäche nicht als Beeinträchtigung, sondern als »Geschenk des Himmels«, da ihre Kurzsichtigkeit sie davor bewahrt, das Hässliche in der Welt sehen zu müssen. Margareta Heinrich erhielt für den Film 1993 den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Solidaritätsfilme



Rudi Palla und Margareta Heinrich bei Dreharbeiten zu DER TRAUM DES SANDINO (1981) © Rudi Palla

Nach einem jahrzehntelangen korrupten Regime gelang es der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) 1979, Nicaragua aus den Fängen des Diktators Anastasio Somoza zu befreien. Vom Eifer der Revolution gepackt, reiste Heinrich im Herbst 1979 nach Nicaragua, wo der erste ihrer sogenannten Solidaritätsfilme entstand: LA ESPERANZA ist ein Dokumentarfilm über den Zustand des Landes nach dem Sturz der Diktatur Somozas und über die aufkeimende Hoffnung nach Jahren des Elends.

In den folgenden Jahren entstanden zwei weitere Filme in und über Nicaragua: DER TRAUM DES SANDINO (1981) und NO PASARAN (1984). DER TRAUM DES SANDINO, den Margareta Heinrich gemeinsam mit Rudi Palla drehte, versucht, die wirtschaftliche und politische Situation Nicaraguas nach der Somoza-Diktatur zu erfassen.
Der Film verfolgte das klare Ziel, die Zuschauenden auf einer emotionalen Ebene zu erreichen. Diese Betroffenheit, so zumindest die Hoffnung der Filmemacher:innen, solle sich in Wut gegen das ehemalige Regime und in Solidarität für das neue Nicaragua verwandeln.

»Der von uns gedrehte Dokumentarfilm versteht sich
als eine Art Entwicklungshilfe. Eine Entwicklungshilfe
in Sachen Informationsstand im eigenen Land.
Die österreichische Bevölkerung wird über die Situation
der Dritten Welt zu wenig und vielfach falsch informiert.
Wir wollten für eine breite Öffentlichkeit den sofort
nach der Befreiung begonnenen Aufbaukampf des
nicaraguanischen Volks auf eine informative
und zugleich sinnliche Art dokumentieren.«

 

Rudi Palla über DER TRAUM DES SANDINO
Presseheft zu DER TRAUM DES SANDINO (1981) und Gedicht von Margareta Heinrich, 1980

Der letzte von Heinrichs Filmen über Nicaragua, NO PASARAN, widmet sich der Lage des Landes fünf Jahre nach dem Fall der Diktatur. Der gemeinsam mit Heinrichs damaligem Lebensgefährten Rolf Oerter gedrehte Film spürt der Bedrohung des befreiten Nicaraguas durch die »Contras« nach.

Anders als bei DER TRAUM DES SANDINO, wo die Bilder den gesprochenen Kommentar nicht nur illustrieren, sondern in einen visuellen Zusammenhang einbetten, vermisst NO PASARAN das gekonnte Zusammenspiel zwischen Bild und Ton. Dementsprechend fiel auch die Rezeption des Films eher gedämpft aus.

Plakat zu NO PASARAN (1984)

Die sandinistische Revolution riss Margareta Heinrich derart mit, dass sie gleich drei Filme über Nicaragua drehte, was angesichts Heinrichs aktivistischem Geist nur wenig überrascht. Mit ihren Filmen über Nicaragua konnte Heinrich einmal mehr ihrem Wunsch, mit ihren Filmen zu informieren und etwas zu bewirken, nachkommen.

Presseheft zu IST DER TEUFEL WIRKLICH EIN KIND (1990)

1990 richtete Heinrich noch einmal ihren filmischen Blick auf Probleme im Trikont. Mit IST DER TEUFEL WIRKLICH EIN KIND? lieferte die damals 39-Jährige einen eindringlichen Dokumentarfilm über Menschenverbrechen in Mosambiks Bürgerkrieg. Den thematischen Schwerpunkt bilden die traumatischen Erlebnisse von Kindern aus Mosambik, die vom Nationalen Widerstand Mosambiks (RENAMO) verschleppt und dazu gezwungen wurden, Mord am eigenen Volk zu begehen.

Auf den Spuren der Vergangenheit



Margareta Heinrich während der Dreharbeiten zu TOTSCHWEIGEN (1994) © Eduard Erne/Lukas Stepanik/Extrafilm KG

Nachdem sich Margareta Heinrich seit den frühen 1970er-Jahren filmisch entweder mit feministischen Themen oder mit Problemen im Ausland beschäftigt hatte, kehrte sie in den 1990er-Jahren mit der Kamera in die Umgebung ihrer Heimat zurück. In ihrem letzten Film, dessen Erfolg die Filmemacherin aufgrund ihres frühen Todes im Februar 1994 nicht mehr miterlebte, geht es um Vergangenheitsbewältigung und Fragen der Erinnerungskultur.

Plakat zu TOTSCHWEIGEN (1994) © Filmladen Verleih

In TOTSCHWEIGEN begeben sich Margareta Heinrich und Eduard Erne als Regieteam auf die Suche nach einem Massengrab im burgenländischen Rechnitz. 1945 wurden dort – zehn Tage vor dem Eintreffen der Roten Armee – circa 180 jüdische Zwangsarbeiter in der Nacht erschossen und in einem Grab verscharrt. Der Film zeichnet die intensive, aber leider erfolglose Suche nach diesem Massengrab nach, das bis dato nicht gefunden wurde.

Seine Premiere feierte der Film im Pfarrhaus in Rechnitz. Weil der Andrang so groß war, musste der Film parallel gezeigt werden: Er lief zum einen als 16-mm-Film im Veranstaltungssaal und zum anderen als Video in weiteren Räumen des Pfarrheims.

»Ich glaube, es war das erste Mal, dass in Rechnitz
öffentlich über den Massenmord diskutiert wurde.
Die Wogen schlugen ziemlich hoch. Es waren auch
viele Junge da, die sagten, ›Wir wussten das nicht.
Wir haben von dieser Geschichte noch nie gehört.
Warum wurde uns nie etwas erzählt davon?‹
Wenn es so etwas gibt wie einen Sinn,
den das ganze Unternehmen hatte,
dann war er in dieser Aufführung begründet.«

 

Eduard Erne über TOTSCHWEIGEN

In diesem Sinne erreichte Margareta Heinrich ihr größtes Anliegen: Mit einem Film Diskussionen über das behandelte Thema auszulösen. Auch 30 Jahre nach ihrem Tod bewegen ihre Filme noch immer.

 

 

Konzept + Text: Jona Haidenthaler, Filmarchiv Austria 2024

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