Seit 70 Jahren zählt das Metro in der Johannesgasse 4 zu Wiens mondänsten Kinoadressen. Das hier vom Filmarchiv Austria betriebene METRO Kinokulturhaus, wie es seit 2014 heißt, gehört zu den wenigen herausragenden, heute noch existierenden Kinoarchitekturen der Stadt.
Als es am 25. Dezember 1951 an diesem Standort eröffnet, wird es bereits als Kino mit Stil lanciert – sowohl mit Blick auf das räumliche Ambiente als auch auf das Filmprogramm.
Premiere des Films KAIN im Metro-Kino, 19. Jänner 1973 | Foto: Franz Votava/IMAGNO/picturedesk.com
Dabei wurde das Gebäude ursprünglich nicht als Kino errichtet. Die besondere Atmosphäre des Metro rührt vielmehr daher, dass es nicht nur die Geschichte eines Kinos erzählt, sondern auch die eines Theaters – noch dazu an einem Ort, der dem Wiener Publikum bereits vor über 180 Jahren geradezu Fantastisches bietet.
WELTREISEN IM INNENSTADT-KELLER
BIEDERMEIERLICHE VERGNÜGUNGEN IM NEUEN ELYSIUM
BIEDERMEIERLICHE VERGNÜGUNGEN IM NEUEN ELYSIUM
Im Biedermeier befindet sich eine prominente Vergnügungsstätte namens Neues Elysium, eröffnet 1840 von dem Cafetier und Gastwirt Joseph Daum, in den Kellerräumen des Klosters St. Anna. Über den Eingang in der Johannesgasse gelangen die BesucherInnen in eine üppig gestaltete Erlebniswelt.
Außenansicht des Klosters St. Anna, Johannesgasse 4, 1886, Foto: Erwin Pendl/ÖNB Wien/Bildarchiv Austria
Zu Fuß und sogar mit einer unterirdischen Pferdeeisenbahn können hier sämtliche Erdteile »bereist« und erkundet werden. Es finden Bälle, Konzerte, Feste statt, Tableaux vivants, Zaubereien und humorvolle Darbietungen sorgen für abwechslungsreiche Unterhaltung.
»Eine breite, bequeme Treppe führt in einen dunkeln Raum, frischer Waldduft strömt entgegen, ein dumpfer Niagara rauscht und stürzt hinunter, eine Boa constrictor windet sich um einen breiten Stamm und mitten durch den Urwald rollen Wagen mit Pferden bespannt eiserne Gleise entlang.
Wir sind in – A m e r i k a.«
Österreichisches Morgenblatt, 1840
Wir sind in – A m e r i k a.«
Österreichisches Morgenblatt, 1840
Nach Joseph Daums Tod 1854 wird das Neue Elysium von Daums Söhnen Josef und Franz bis 1863 weitergeführt.
PALAST DER KAUFLEUTE
KAISER FRANZ JOSEPH I. ERÖFFNET KAUFMÄNNISCHES VEREINSHAUS
KAISER FRANZ JOSEPH I. ERÖFFNET KAUFMÄNNISCHES VEREINSHAUS
Außenansicht des Wiener Kaufmännischen Vereinshauses, Kaufmännische Zeitschrift, 15. Juni 1893, ÖNB/ANNO
Das heutige Gebäude entsteht Ende des 19. Jahrhunderts, nach dem Abriss der Anlagen des Klosters St. Anna. Der Baugrund Johannesgasse 4 wird vom Wiener Kaufmännischen Verein erworben, der von den Architekten Christian Ulrich und Rudolf Dick hier sein Vereinshaus errichten lässt.
Zeichnung des Festsaals des Wiener Kaufmännischen Vereinshauses, 1893, Foto: ÖNB/Bildarchiv Austria
Am 29. Mai 1893 von Kaiser Franz Joseph I. und Erzherzog Karl Ludwig feierlich eröffnet, umfasst der Repräsentationsbau neben Vereinsräumen und einer Restauration auch einen zentralen Festsaal mit einer Kuppelüberdachung. Er bildet den Ursprung des heutigen Historischen Saals im Metro.
Festsaal des Wiener Kaufmännischen Vereinshauses, »Wiener-Bauten-Album«, 1893, Foto: Wien Museum
KINO VOR DEM KINO
UNTERIRDISCHE PRE-CINEMA-SCHAUSTELLUNGEN
UNTERIRDISCHE PRE-CINEMA-SCHAUSTELLUNGEN
Zoetrop, um 1870, Sammlung Filmarchiv Austria
Schon im Neuen Elysium gibt es Schaustellungen mit präkinematografischen Projektionsapparaten: »Sehr interessante Erscheinungen« in Form von »Nebelbildern und Teufeleien«.
Bi-Union Doppel-Laterna-Magica, um 1860 | Laterna Magica Pettibone, um 1890
Im Kaufmännischen Prunksaal kommt es zu weiteren Begegnungen mit dem Kino. So ist hier im Herbst 1893 das Ehepaar Homes & Fey zu Gast und hält »antispiritistische Soireen« ab, in deren Verlauf »moderne Wunder« und »Enthüllungen aus der vierten Dimension« als »Scharlatanerie« entlarvt werden.
Ehepaar Georg Homes und Marie Homes-Fey, um 1890
Etwa zehn Jahre später gründen Homes & Fey das Weltpanorama, das kinematografische Vorstellungen im Angebot hat und schließlich zum Kino am Kohlmarkt wird.
ALLES THEATER
SCHAUSPIEL-GESCHICHTEN IN DER JOHANNESGASSE
SCHAUSPIEL-GESCHICHTEN IN DER JOHANNESGASSE
1906 wird der Festsaal adaptiert und das Kleine Schauspielhaus von Direktor Richard Skuhra Ende September eröffnet. Das Theater besteht bis 1909, erst in den 1920er-Jahren kommt es erneut zu Veränderungen.
Premiere des Stücks »The Spider« von Fulton Oursler und Lowell Brentano in deutscher Bearbeitung von Felix Salten, 1930, Filmarchiv Austria, Sammlung Florian Pauer
Das Publikum wurde jeden Abend fotografiert und die Fotografien nach der Vorstellung an die Zuschauerinnen verteilt.
Auf Initiative von Robert Blum werden das Foyer und der Saal nach den Planungen von Architekt Percy A. Faber bis Ende Jänner 1924 zum Modernen Theater umgebaut. Damit entsteht jenes Erscheinungsbild, das in seinem Kern mit Eichentäfelungen, Goldornamenten, Stuckdekor, Balkon und Logen dem historischen Bestand des heutigen Kinos entspricht.
»Seiner ganzen Aufmachung nach ist es eine mondän intime Bühne, ein mit allem Komfort ausgestatteter dramatischer Salon für die elegante Gesellschaft, die sich ohne literarische Kopfschmerzen gern auf liebenswürdig kultivierte Art unterhält.«
Neue Freie Presse, 29. Jänner 1924
Neue Freie Presse, 29. Jänner 1924
Kindervorstellung im Modernen Theater, 1928, Filmarchiv Austria
Von Rolf Jahn 1927 in »Die Komödie« umbenannt, erlebt das Theater mehrere Wechsel in der Direktion.
Auch Otto Preminger war von 1928 bis 1932 in dem Haus als stellvertretender Direktor und künstlerischer Leiter tätig.
SCHUTT UND ASCHE
DIE NAZI-ZEIT ENDET IM BOMBENHAGEL
Johannesgasse – Richtung Kärntner Straße, Blick auf das Theater Die Komödie mit Hakenkreuz-Fahne, 1940, Wien Museum, Foto: Fred Hennings/Wien Museum
Nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 werden Funktionen und Spielplan der nationalsozialistischen Ideologie unterstellt. Der Kaufmännische Verein wird aufgelöst und dessen Vermögen eingezogen. 1941 erwirbt die Stadt Wien das Gebäude.
Szenenfoto aus Franz Grillparzers »Das Goldene Vließ« im Theater Die Komödie mit Oskar Werner in der Rolle eines Argonauten, Jänner 1941, Foto: Lucca Chmel/Nachlass Oskar Werner/Filmarchiv Austria
Ein Jahr später wird das Theater dem Deutschen Volkstheater als Spielstätte des nationalsozialistischen Kraft-durch-Freude-Programms eingegliedert. Im März 1945 treffen Bomben das Gebäude, die oberen Stockwerke stürzen ein und zerstören auch Teile des Theatersaals.
Kriegsschäden im Balkonbereich des Theaters die Komödie, Frühsommer 1945, Wien Museum
ZARTE AVANTGARDE
LEON EPPS INSEL IN DER KOMÖDIE
Theater »Die Insel« in der Komödie, um 1946, Wien Museum, Foto: Birgit und Peter Kainz
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestreitet Leon Epp, der schon für die Kleinkunstbühne Die Komödie tätig war, den Wiederaufbau des Theaters. Mit beachtlichen eigenen Aufwendungen setzt er die zerstörte Infrastruktur instand und eröffnet im Oktober 1945 Die Insel in der Komödie.
Theaterzettel von Aufführungen im Theater »Die Insel« in der Komödie: Kindermärchen , o.J., Wien Museum | Matinee mit Werken von Hugo von Hoffmannsthal, 3. Februar 1946, Filmarchiv Austria
Epp betrachtet sein Theater als Experimentierbühne, als seinen Beitrag zur Erneuerung und zum Aufbau der Gesellschaft nach dem Krieg. Es besteht bis 1951, als die Stadt Wien Epps Konzession nicht mehr verlängert. Die städtische Kinobetriebsanstalt Kiba plant, hier nun ein Kino einzurichten.
Szenenfoto der Aufführung des Stücks »Onkel Wanja« von Anton Tschechow im Theater »Die Insel« in der Komödie, September/Oktober 1945, Wien Museum
Das Metro
Vom Theater zum Lichtspielhaus
»Die Kiba hat uns bereits bewiesen, daß man aus Markthallen und Turnsälen Kinos machen kann. Den Beweis, daß man auch Theater in Kinos verwandeln kann, möge sie uns doch lieber schuldig bleiben.«
Die Furche, März 1951
Die Furche, März 1951
Planzeichnungen für den Umbau des ehemaligen Theaters »Die Insel« in der Komödie in das Kiba-Kino »Metro«. Architekt Robert Kotas, 1951, Filmarchiv Austria
Die Adaptierungen für das Kino werden von Robert Kotas weitestgehend unter Beibehaltung der historischen Architektur geplant. Begleitet von einer kulturpolitischen Debatte um die Vormachtstellung der Kiba-Kinos werden Premieren und filmkünstlerische Schwerpunkte angekündigt.
Plakatwand mit Ankündigung des Films SAMSON UND DELILAH (Cecile B. DeMille, USA 1949), gespielt im Metro ab September 1952, Filmarchiv Austria,/Sammlung Hermine Paryzek
Am 25. Dezember 1951 startet das Metro-Kino mit dem Technicolor-Abenteuerfilm KÖNIG SALOMONS DIAMANTEN (KING SOLOMON’S MINES, Compton Bennett/Andrew Marton, USA 1950).
Plakat und Metro-Kino mit Ankündigung des Eröffnungsfilms KÖNIG SALOMON'S DIAMANTEN (Compton Bennett/Andrew Marton, US 1950), 1951, Foto: Franz Votava/IMAGNO/picturedesk.com
Mit etwa 400 Plätzen im konservierten Theaterambiente gilt es als stilvolles Kleinod in bester Innenstadtlage, eine repräsentative Bühne für die Wiener Gesellschaft aus Kultur und Politik.
Premiere des Films DIE EHE DER MARIA BRAUN (Rainer Werner Fassbinder, D 1978) im Metro-Kino, 1980, AUSTRIA WOCHENSCHAU, Filmarchiv Austria
WILDES KINO
FILMPROGRAMME ZWISCHEN KUNST UND KOMMERZ
Festveranstaltung anlässlich der Verleihung des Österreichischen Staatspreises an Axel Corti, April 1976, ÖNB/Bildarchiv Austria
Das Programmangebot des Metro-Kinos bleibt vielseitig und mäandert zwischen glamourösen Premieren und Exkursionen in die Randgebiete der Weltkinematografie. Von großen Hollywood-Schlagern über Kulturfilme bis hin zu Exploitation und Erotik findet in der Johannesgasse 4 alles auf die Leinwand.
Der von 1973 bis 1974 stattfindende Umbau durch Architekt August Weisshaar zielt auf eine weitere Aufwertung des Hauses ab, das Metro wird endgültig zu einem Premium-Betrieb innerhalb der städtischen Kinokette Kiba. Die Einrichtung wird in Teilen historistisch ausgestaltet und zugleich modernisiert.
Wiedereröffnung des Metro-Kinos, 1974, AUSTRIA WOCHENSCHAU, Filmarchiv Austria
Eichentäfelungen, Stuck, Goldverzierungen und Leuchten werden rekonstruiert. Die Sitzplätze werden auf beinahe die Hälfte reduziert, die Holz- durch Polstersessel ersetzt und ein Espresso eingerichtet. Das Vordach erhält – entgegen dem ursprünglichen Bild – eine neue Beleuchtung.
Saal des Metro-Kinos o.J. (nach 1973), Filmarchiv Austria, Sammlung Florian Pauer
AUSLAGE FÜR DAS FILMERBE
FILMARCHIV AUSTRIA ÜBERNIMMT METRO-KINO
FILMARCHIV AUSTRIA ÜBERNIMMT METRO-KINO
Portal des Metro-Kinos, 1992, Foto: Josef Schweikahrt/Filmarchiv Austria
Als die städtische Kiba 1999 aufgrund fehlender Wirtschaftlichkeit aufgelöst werden muss, übernimmt die neu gegründete Gesellschaft City Cinemas das Metro-Kino. Bereits 2002 geht sie jedoch ebenfalls in Konkurs.
Podiumsdiskussion bei der ORF-Gala »50 Jahre Fernsehen, November 2005
Im selben Jahr wird das Metro vom Filmarchiv Austria aus der Konkursmasse gerettet und als erste eigene Spielstätte zur Auslage des heimischen Filmerbes. Bis auf partielle Veränderungen, wie den Wechsel der Bestuhlung im Saal, bleibt die Architektur fast unverändert.
METRO WIRD KINOKULTURHAUS
EIN NEUES FILMZENTRUM FÜR WIEN
Portal des METRO Kinokulturhaus, Mai 2020
Seit 2014/15 präsentiert sich das Metro in seinem heutigen Erscheinungsbild. Dem geht ein groß angelegtes Erweiterungsprojekt voraus, mit dem das Filmarchiv Austria Architekt Dominik Aichinger 2012 beauftragt. Es umfasst die Integration von zwei zusätzlichen Stockwerken über dem Historischen Saal und damit die Einrichtung von permanenten Ausstellungsflächen, den Einbau eines zweiten Saals sowie die Schaffung neuer Büroräumlichkeiten für das vergrößerte Team.
Umbau des Historischen Saals, 2012
In Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt wird das historische Foyer im Mezzanin rekonstruiert und das Vordach wieder dem ursprünglichen Erscheinungsbild angeglichen. Architekt und Designer Gregor Eichinger gestaltet das Interieur mit dem charakteristischen roten Teppichmuster.
Nach dem Motto »To preserve and to show« macht das Filmarchiv Austria nun seit knapp 20 Jahren in der Johannesgasse 4 seine intensive Sammlungs- und Restaurierungsarbeit auch für die breite Öffentlichkeit aktiv zugänglich und das heimische Filmerbe buchstäblich anschaulich – in Form seines vielfältigen Kinoprogramms, seit 2015 aber auch durch die ganzjährige Bespielung der ersten permanenten Ausstellungsflächen für Film in Österreich.
Nicht zuletzt seit der 2019 erfolgten Einrichtung der Satyr Filmwelt im Foyer ist das METRO heute ein Ort, an dem Menschen auf unterschiedlichste, aber immer inspirierende Weise der Kultur, Geschichte und dem Wesen von Kino und Film begegnen können.