Retrospektiven
Bertolt Brecht
Politik, Ästhetik, Kino
30.1.–6.3.2023
»Brecht denken und Film denken in der Geschichte, das ist wie Trauerarbeit«, schreibt der Filmhistoriker Georg Seeßlen. »Etwas will da immer zusammenkommen und von beiden Seiten aus wird es umso schwieriger, je mehr man sich bemüht.« Und tatsächlich ist das Verhältnis von Bert Brecht und dem Kino ein gespaltenes: Wenn Brecht explizit fürs Kino geschrieben hat, wie etwa bei KUHLE WAMPE (der einzige Film, an dem er ohne Einschränkungen arbeiten konnte) oder HANGMEN ALSO DIE!, dann entpuppte sich diese Zusammenarbeit stets als widersprüchliche oder gar enttäuschende Erfahrung. Noch schlimmer war es, wenn Regisseure sich an seinen bereits bestehenden Theaterstücken und Texten versuchten. Seine künstlerische Praxis, Vorgänge bewusst verfremdet darzustellen, mag sein schwieriges Verhältnis zu Filmemachern begründen, die – trotz der erkennbaren Einflüsse, die Brechts episches Theater auf sie hatte – sie als Ganzes als fürs Medium untauglich befanden.
Dabei hat sich Brecht lange Zeit sehr um den Film bemüht. Er schreibt Ende der 1920er-Jahre in Der Dreigroschenprozess: »Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender. […] Die Lage wird dadurch so kompliziert, daß weniger denn je eine einfache ›Wiedergabe der Realität‹ etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Krupp-Werke oder der AEG ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa der Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich ›etwas aufzubauen‹, etwas ›Künstliches‹, ›Gestelltes‹. Es ist also tatsächlich Kunst nötig.« »Aber«, so Brecht in Bezug auf die Funktion des Films, »der alte Begriff der Kunst, vom Erlebnis her, fällt eben aus.«
Der Widerspruch zwischen Brechts Engagement und dem Wesen des Films liegt laut Seeßlen in der Rolle des Zuschauers. Brecht lehnt es ab, dass sich die Zuschauer mit den vorgeführten Figuren auf der Leinwand identifizieren. Doch jeder Film, besonders, wenn er auf Genre-Dramaturgien beruht, ist bemüht, das Publikum zu involvieren. Darin liegen Wesen und Mythos des Kinos. Brecht fordert somit nichts weniger als dessen Entmythisierung. Zwar hat er dieses Ziel schlussendlich nicht erreicht, doch der Brecht’sche Verfremdungseffekt gehört inzwischen zum Repertoire von Regisseuren von Godard über Haneke bis Tarantino. Brechts Technik ist damit nicht mehr nur im Zusammenhang mit seinen gesellschaftskritischen Intentionen gültig, sondern längst im »Mainstream« angekommen. (Florian Widegger)