Retrospektiven
¡Espectacular!
Mexikanisches Populärkino 1940–1970
1.2.–27.2.2024
Espectáculo a diario – Mexikanisches Populärkino 1940–1970, die Retrospektive des Locarno Film Festivals 2023, war für viele BesucherInnen eine Sensation: Das Publikum staunte über (gender)politisch subversive Musicals (LA CORTE DE FARAÓN), moderne Melodramen (MÁS FUERTE QUE EL AMOR), knallbunt-fidele Superheldinnenextravaganzen (LA MUJER MURCIÉLAGO) und wunderte sich von Tag zu Tag immer mehr, warum man von all diesen abenteuerlustigen, formal wie inhaltlich wieder und wieder bahnbrechenden Herrlichkeiten noch nie etwas gehört hatte.
In der Tat: Die Hochzeit des mexikanischen Kinos von den 1940ern bis in die 60er ist im internationalen Kontext mittlerweile eine unheimliche Leerstelle. Man ist sich seiner Größe und Bedeutung bewusst, weiß aber sehr wenig darüber, auch weil selbst der Minimalkanon von großen Namen und venerablen Meisterwerken im cinephilen Alltag zwischen Archivkinos und Festivals kaum gepflegt wird.
Ganz und gar vergessen ist, dass mexikanische Filme in jenen Dekaden allgegenwärtig waren im internationalen Verleihgeschäft: Rumberas gehörten in den 1950ern etwa zu den am weitesten verbreiteten Formen der Kino-Erotica; dito, wie kosmopolitisch das Land in jenen Dekaden war, und wie weltoffen seine Filmproduktion – manche Regisseure machten hier mal länger, mal kürzer halt auf ihrem Karriereweg, etwa der argentinische Stilist Tulio Demicheli oder der chilenische Wander-Auteur Tito Davison, während andere wie der Nazi-Terrorflüchtling Alfredo Bolongaro-Crevenna (MUCHACHAS DE UNIFORME) oder der in Kuba geborene und in Hollywood ausgebildete Genrevirtuose René Cardona Mexiko zu ihrer Heimat machten. Um diesen Aspekt ortsspezifisch zu vertiefen, zeigen wir neben unserer Locarno-Auswahl noch drei Funde aus dem eigenen Archiv: deutschsprachige Verleihversionen mexikanischer Produktionen jener Jahre, darunter Gilberto Martínez Solares’ Gruselkomödie DA LACHT DIE GÄNSEHAUT.
Was dieses Kino aus heutiger Sicht so erstaunlich frisch, aufregend und inspirierend macht, ist seine innere Unruhe – eine Kunst der konstanten Suche nach neuen Formen und Geschichten, immer hart am Zeitgeist. So wird in LLÉVAME EN TUS BRAZOS mit Rumbera-Hüftschwung wider die politischen Zustände auf dem Land agitiert oder in dem neurotischen Dok-Noir LA MENTE Y EL CRIMEN die Modernisierung des Alltags in Mexiko-Stadt durch das Prisma einer Mordermittlung greifbar gemacht. Ein Kino, das es heute nicht mehr gibt, aber das wir brauchen! (Olaf Möller)
Die mexikanische Filmproduktion war in ihren Goldenen Zeiten nicht nur zu Hause enorm erfolgreich. In die ganze Welt wurden mexikanische Filme exportiert – so auch nach Österreich. Die drei Funde aus der Sammlung des Filmarchiv Austria belegen dies eindrucksvoll – und stellen damit eine ideale Ergänzung dar.