Retrospektiven
Faszination Verbrechen
Krimis made in Austria 1919–1939
15.2.–28.2.2022
Kino ist das Medium des Sehens. Die Lust an den Bildern, die uns verführen und schockieren können, macht einen wesentlichen Teil seiner Faszination aus. Während sie auf der Leinwand vor uns ablaufen, werden wir im Zuschauerraum gleichsam zu Zeugen unabwendbarer Ereignisse und folgen dem Geschehen. Beim Krimi ist das häufig eine Frage der Perspektive: Interessieren wir uns für die Verbrecher, die immer neue Schandtaten begehen? Oder stehen jene im Fokus, die ebendiese aufklären bzw. dingfest machen?
Die Entwicklung des Kriminalfilms findet zeitnah mit jener der Kriminalliteratur statt. Zwar etabliert sich diese als Gattung bereits ab dem frühen 19. Jahrhundert, einen richtigen Run erlebt sie allerdings erst rund 100 Jahre später, als AutorInnen wie Arthur Conan Doyle, Agatha Christie – und Edgar Wallace – mit ihren Romanen nicht nur die Bedürfnisse unzähliger LeserInnen nach Schuld und Sühne befriedigen, sondern auch an Bedeutung als Unterhaltungsmedium für die Industriegesellschaft gewinnen. Es mag kein Zufall sein, dass sich das Genre gerade in den 1920er-Jahren, in denen große Not und politische Unsicherheit herrschen, ausformuliert und damit auch die Probleme der Zeit, soziale Fragen und unter der gesellschaftlichen Oberfläche schwelende Tendenzen abarbeitet – im Buch wie im Film.
Die Spannbreite an Themen ist jedenfalls vielfältig: Vom »gemeinen« Mordverdacht, mit dem sich ein unschuldiger Herr aus besseren Kreisen konfrontiert sieht und den es zu entkräften gilt (FRAUENEHRE), über eine groß angelegte Kunstfälschungsaktion (ICH BIN SEBASTIAN OTT) bis hin zu betrügerischen Machenschaften im Ölgeschäft (UNSICHTBARE GEGNER) reicht die Palette. Inhaltlich wie formal sind die Filme häufig beflügelt von neuen Stil- und Denkrichtungen, dem Expressionismus auf der einen Seite und der Psychoanalyse auf der anderen – exemplarisch und meisterhaft: Robert Wienes Klassiker ORLAC’S HÄNDE. Aber auch die Neue Sachlichkeit hinterlässt ihre Spuren, indem sich die Geschichten, die die Filme erzählen, zunehmend an die Lebensrealität des Publikums anpassen und sie an jene Orte führen – in Vorstädte und Nachtlokale –, an denen Sehnsüchte und Wünsche (vermeintlich) wahr werden. Verbrechen mag sich im richtigen Leben nicht auszahlen, im Kino ist es seit jeher eine unversiegbare Quelle der Inspiration. (Florian Widegger)