Retrospektiven
Friedrich Wilhelm Murnau
8.1.–21.1.2020
Präsentation der neu restaurierten Fassung mit einem Einführungsvortrag von Stefan Drössler (Direktor Filmmuseum München)
Schon in der Kindheit gilt das Interesse des im Dezember 1888 in Bielefeld geborenen Friedrich Wilhelm Plumpe den Künsten. An der Universität belegt er die Fächer Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte und beginnt, Theater zu spielen. Er wird von Max Reinhardt entdeckt, der ihn als Schauspieler und Regieassistent unter seine Fittiche nimmt. Aus Plumpe wird Murnau, die Namensänderung und seine Homosexualität führen schließlich zum Bruch mit den Eltern. Nach dem Ersten Weltkrieg heuert er in den Filmstudios außerhalb Berlins an: Der gebildete Bürgerliche trifft auf hemdsärmelige Arbeiter und Schausteller. Seine ersten sechs Filme sind verschollen bzw. nur in Fragmenten oder durch Dokumente erhalten.
Sie dürften allesamt Murnaus Karriere zuträglich gewesen sein, denn er kann trotz Inflation bereits Anfang der 1920er-Jahre auf große Budgets zugreifen. Es heißt, die Werbeausgaben für NOSFERATU, jenem ersten Film, der Murnaus Mythos (und das Genre des Horrorfilms) begründet und geprägt hat, seien höher gewesen als seine Produktionskosten – Hollywood singt davon heute nur ein Liedchen. Dorthin zieht es Murnau nach weiteren großen Erfolgen mit DER LETZTE MANN (in dem er die Kamera aus ihrer Starre befreit und »entfesselt«), TARTÜFF (in dem er unterschiedlichste Genres perfekt ausbalanciert) und FAUST (in dem er die technischen und visuellen Möglichkeiten des Mediums voll ausreizt). Bei Fox erleidet er mit SUNRISE, den Kritiker heute immer noch zu den besten Filmen aller Zeiten zählen, kommerziellen Schiffbruch. Auf Tahiti entsteht TABU, sein letzter Spielfilm, bevor er 1931 bei einem Autounfall ums Leben kommt.
Schwieriger als die Frage nach Murnaus Biografie ist jene nach dem Reiz, den seine Filme bis heute ausüben. Über den »Murnau-Touch« haben sich bereits zahlreiche Filmwissenschaftler versucht: darüber, wie er Blicke und Gesten, Räume und Menschen nicht nur in Szene, sondern auch in Bezug zueinander setzt; wie sich bestimmte Themen und Motive – etwa der ewige Gegensatz von Stadt und Land – durch seine Arbeiten ziehen, wie auch die Gewissheit, dass das Glück nur von kurzer Dauer ist. Murnaus Filme verfügen allesamt über einen ungeheuren Reichtum, der sich aus unterschiedlichsten Künsten speist, und eine Weitsicht, die es bis heute möglich macht, sie stets aufs Neue zu entdecken. Thomas Koebner: »Wer sich auf seine Filme einlässt, erspürt alsbald eine unvergleichliche Stimmung von leiser, dennoch nachhaltiger Innigkeit und diskreter Trauer, von Lebhaftigkeit und Bedauern, von unaufdringlichem Mitleid für seine Figuren, versetzt mit kleinen Blitzen eines weichen Humors, einer milden Gelassenheit.« (Florian Widegger)