Retrospektiven
Stefan Zweig
Der Weltautor im Kino
3.12.–23.12.2021
Einen »Schöpfer ersten Ranges« hat Sigmund Freud Stefan Zweig genannt. Auf jenen Weg ins Unbewusste, den der Vater der Psychoanalyse bereitet hat, macht sich auch der junge Autor. Der dräuende Untergang der Monarchie, des lustfeindlichen Bürgertums auf der einen Seite, technischer Fortschritt und die Bildung neuer gesellschaftlicher Schichten auf der anderen legen den Grundstein für das geistige Klima, das um die Jahrhundertwende im Zentrum Europas herrscht. Zweig, in eine wohlhabende jüdische Textilunternehmerfamilie hineingeboren, verfasst erste Gedichte, ist aber noch voller Selbstzweifel. Erst mit dem Erfolg von Brennendes Geheimnis, der ihm auch bei hochverehrten Dichterkollegen Ansehen einbringt, etabliert er »seinen« Stil. Die Figuren, die das Herzstück seiner Erzählungen ausmachen, sind meist Gefangene ihrer selbst, denen in kurzen Augenblicken trügerisches Glück gewährt wird, das sie jedoch nur weiter in die Isolation und Resignation treibt. Der wachsende Ruhm ruft auch erste Kritiker auf den Plan, die sich nicht nur am Werk, sondern auch an seinem Schöpfer abarbeiten, der sich zeitlebens nicht von politischen Gruppierungen jeglicher Couleur fernhält.
Anfang der 1920er-Jahre entstehen die ersten Bearbeitungen fürs Kino, und wieder markiert Brennendes Geheimnisden Beginn mit einer heute verschollenen Verfilmung von Rochus Gliese. 1933 folgt die Adaption von Robert Siodmak, der es beinahe gleich ergeht: Wenige Tage nach Premiere wird der Film von den Nazis wegen der jüdischen Abstammung des Autors und der Anspielungen auf den Reichstagsbrand in Berlin verboten. Zweig befindet sich zu dieser Zeit in Salzburg und wird aus nächster Nähe Zeuge von Hitlers Aufstieg auf der anderen Seite der Grenze, während ihm im eigenen Land Heimwehr und Austrofaschismus zusetzen. 1934 verlässt er Österreich in Richtung London, sechs Jahre später Europa Richtung Südamerika, wo er sich im Februar 1942 im brasilianischen Petrópolis das Leben nimmt.
Der vielgereiste »Weltautor«, so der Titel der Ausstellung im Literaturmuseum, inspiriert zu filmischen Adaptionen aus aller Welt. Zweig ist dabei gewissermaßen sein eigener Manager, die Verhandlungen über die Filmrechte laufen über ihn und sind ab 1930 auch in seinem »Hauptbuch«, in dem er sämtliche Geschäfte aufzeichnet, dokumentiert. Ob er die Verfilmungen je auch gesehen hat, ist nicht überliefert. Spannende Möglichkeiten des Vergleichs bietet jedenfalls diese Retrospektive mit zwei BRENNENDEN GEHEIMNISSEN und einem finnischen, US-amerikanischen und chinesischen BRIEF EINER UNBEKANNTEN. Wes Anderson reist im GRAND BUDAPEST HOTEL in eine von Zweig beseelte Vergangenheit und Josef Hader brilliert schließlich in VOR DER MORGENRÖTE in der Rolle des exilierten Autors und Schöpfers eines Werks, das die Welt noch lange sehen wird. (Florian Widegger)