Retrospektiven
Youssef Chahine
Ikone des ägyptischen Kinos
13.2.–28.2.2020
Der bekannteste Filmregisseur Ägyptens wird am 25. Jänner 1926 in Alexandria als Sohn eines melchitischen Anwalts libanesischer Herkunft und einer griechischen Mutter geboren. Chahine wächst im bürgerlichen Viertel Ibrahimia auf, wo er europäische Schulen besucht. 1946 erhält er das von ihm heiß ersehnte Stipendium für eine Ausbildung als Schauspieler und Regisseur am Pasadena Playhouse in Kalifornien. 1948 kehrt er zurück, um seine erworbenen Kenntnisse in der Filmindustrie seines Landes zu erproben.
Diese hat in Ägypten eine lange Tradition, die bis in die Anfänge des Kinos zurückreicht. Die Gründung des Studios Misr bildet 1935 die Basis für eine Tonfilmproduktion, die bis heute den gesamten arabischen Sprachraum abdeckt. Dieses Kino funktioniert allerdings nach rein kommerziellen Spielregeln. Chahines Frühwerk ist zwar noch den geltenden Genreregeln verpflichtet, doch man spürt im Interesse an tabuisierten Milieus bereits die Absicht, diesen engen Rahmen zu sprengen. In seinem ersten Schlüsselwerk BAB AL-HADID (1958) betont er am Beispiel der Hauptfigur, die aus sexuellem Frust zum Mörder wird, den psychologischen Aspekt, der auf die Enttabuisierung des Themas Sexualität abzielt. Als mit der Verstaatlichung der Filmproduktion 1961 eine Blütezeit des realistischen Kinos einsetzt, steuert Chahine 1968 mit AL-ARD ein Hauptwerk bei, in dem er den brutalen Klassenkampf zwischen Latifundisten und Fellachen im Streit um die Nutzung des Wassers schildert.
Der weltoffene und wandlungsfähige Regisseur verharrt aber nicht in dieser Stilrichtung, sondern passt seine Erzähltechniken neuen Fragestellungen an, die durch den Sechstagekrieg und dessen Folgen akut geworden sind. Chahine stellt die Krise der Intellektuellen in einen neuen formalen Rahmen, der auf traditionelle Erzählweisen verzichtet. Mit der Hinwendung zu stark autobiografisch gefärbten Filmen über Alexandria verändert er den formalen Kanon weiter zugunsten einer komplexen Montage und entwickelt eine radikal persönliche Geschichtsschreibung: Ein Novum in Ägyptens Filmgeschichte.
In seinem Spätwerk wählt er gerne entfernt historische Sujets, um durch die Art der Narration auf die Aktualität ihrer Inhalte zu verweisen. Er verhandelt wunde Punkte und Tabus der arabischen Gesellschaft wie Homophobie und religiöse Intoleranz, was ihm zwar viele Kämpfe mit der Zensur beschert, doch seine französischen Koproduzenten erleichtern ihm den Zugang zu den wichtigsten Festivals, die ihm große internationale Reputation verschaffen. Chahine stirbt am 27. Juli 2008 in Kairo. Sein Grab befindet sich in seiner Heimatstadt Alexandria. (Helmut Pflügl)