Made in Austria
DER PROZESS
G. W. Pabst, die Regielegende der Weimarer Republik, drehte 1948 den PROZESS, der in der Nachkriegszeit verstörend gewirkt haben muss. Pabst widmet sich nicht dem Antisemitismus der Nazizeit, sondern geht zu den Anfängen des modernen Judenhasses zurück, ins späte 19. Jahrhundert. Mit diesem Kunstgriff gelingt es, ohne die Nachkriegsgesellschaft in Österreich direkt mit dem Naziregime zu konfrontieren, sie umso nachdrücklicher auf die grausamen Auswirkungen des Antisemitismus der Nazis hinzuweisen. Aber mit einem geschickten Schachzug bürstet Pabst auch das Nazi-Kino gegen den Strich. Er zeigt uns die Motive des antisemitischen Propagandakinos – die jüdische Orthodoxie. Aber nicht als widerliche Karikaturen, sondern als normale, fromme Menschen. Pabst gelingt es, die Orthodoxie darzustellen ohne das Porträtieren fremder Exoten. Man hört den Gesang des Vorbeters der Synagoge – aber nicht als Kontrapunkt zu deutschen Volksweisen wie in JUD SÜSS. Den Zusehern damals wurde ein Spiegel vorgehalten: Die Vernichtung dieser Welt habt ihr zu verantworten, ihr habt die Fackel des irrationalen Judenhasses in die Welt getragen. DER PROZESS war die erste wirkliche filmische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in Österreich, die aber vor leeren Kinosälen stattfand. (Klaus Davidowicz)