Retrospektiven
Florian Flicker
Zum 10. Todestag
6.9.–18.9.2024
Anders, als man vielleicht vermuten möchte, hat Florian Flicker eine Filmschule erst als Lehrbeauftragter von innen gesehen: 1965 in Salzburg geboren, wirkt er schon in jungen Jahren in der autonomen Kulturszene seiner Heimatstadt mit, hält Verbindungen zu Künstler:innen aus den Bereichen Musik, Aktionstheater und Video, die auch sein eigenes Schaffen maßgeblich prägen. Mit seinen experimentellen wie humorvollen, zumeist in Kollektiven entstandenen Kurzfilmen, von denen Thomas Renoldner eine Zusammenstellung im Rahmen der Retrospektive präsentiert, macht er in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre auf sich aufmerksam. Aus einem »Dokumentarfilm über eine fiktive Situation« entwickelt er 1993 sein Sci-Fi-Spielfilmdebüt HALBE WELT, eine suggestive, Orwell’sche Zukunftsvision, die das Wenige an Budget mit umso größerer Kreativität wettmacht. Der Film erntet internationale Beachtung, in Wien genießt er Kultstatus. Vor Flickers Kamera stehen mit Dani Levy, Maria Schrader, Goran Rebić und Karl Markovics gleich vier junge Schauspieler:innen, die in den folgenden Jahren große Karrieren im Regiefach hinlegen werden.
Auch für Florian Flicker ebnet der Erfolg den Weg zum nächsten Film. Im Sommer 1994 beginnt er mit der Arbeit an SUZIE WASHINGTON, mit dem er vier Jahre später den Großen Spielfilmpreis bei der ersten Diagonale in Graz erhält. Das Roadmovie um eine Frau, die ohne Papiere quer durch Österreich flüchtet, erzählt eine moderne Heldinnenreise und bricht virtuos mit Traditionen und Heimatklischees. 2000 erscheint mit DER ÜBERFALL ein ungewöhnliches, ob der Besetzung mit Roland Düringer und Josef Hader die Erwartungen des Publikums unterwanderndes Kammerspiel, in dem die beiden Hauptdarsteller sich von einer bis dahin unbekannten Seite präsentieren können: Drei Filme, mit denen Flicker scheinbar mühelos Zuschauer und Kritiker gleichermaßen begeistert und Kommerz und Kunst vereint.
»Wenn man einen kommerziell erfolgreichen Film gemacht hat, wird man in Österreich schnell einer Trademark zugeordnet, die man fortan bedienen sollte, und das birgt die schleichende Gefahr, sich zu wiederholen. Deshalb will ich diese Erwartungshaltung nicht erfüllen, ich will keine Marke sein.« So vergehen bis zu seinem nächsten und letzten Spielfilm zwölf Jahre, in denen Flicker nach einem geeigneten Stoff sucht. Dazwischen erkundet er in seinem Dokumentarfilm NO NAME CITY die personellen Dynamiken einer Westernstadt vor den Toren Wiens, inszeniert am Wiener Schauspielhaus, verfasst ein Hörspiel. In seiner Weibsteufel-Adaption GRENZGÄNGER verhandelt er schließlich eine archetypische Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund illegaler Migration. Kurz nach seinem 49. Geburtstag erliegt Florian Flicker am 23.8.2014 einer Krebserkrankung, zwei geplante Projekte werden nicht mehr realisiert. Zehn Jahre später wiegen der menschliche und künstlerische Verlust noch immer schwer: Nicht auszumalen, mit welchen Filmen er uns in dieser Zeit überrascht und glücklich gemacht hätte. (Florian Widegger)