Retrospektiven
Herbert Achternbusch
Bayrischer Weltfilmer
4.10.–18.10.2022
Angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Wirtshaus erfuhr Achternbuschs Werk auch außerhalb seiner Heimat große Beachtung und wurde im Lauf der Jahrzehnte gleichermaßen verehrt wie geschmäht. Den Ausruf »In Bayern mag ich nicht einmal mehr gestorben sein« nahmen ihm viele mindestens so übel wie die Oktoberfestbesucher seinen Auftritt als stichelnder Clown in Polizeiuniform in BIERKAMPF (1977), eine Mischung aus »Stoneface« Buster Keaton, dem »Tramp« Charlie Chaplin und der kindlichen Unschuld eines Harpo Marx – und über all dem der anarchisch-nihilistische Geist Karl Valentins schwebend. Ein paar Jahre später kam es zum Eklat rund um seinen wohl berüchtigtsten Film DAS GESPENST (1982), der die Hüter von Sitte und Ordnung auch hierzulande auf den Plan rief, die ihn prompt aufgrund seines angeblich blasphemischen Inhalts verbieten ließen: ein in Österreich einmaliger Vorgang.
Schön und gut sind diese Skandale als Schlaglichter auf ein kompromisslos geführtes Künstlerleben, aber die Faszination, die bis heute von seinem Schaffen ausgeht, können sie nur unzureichend vermitteln. An einer wahrheitsgetreuen Abbildung der Realität ist Achternbusch ebenso wenig interessiert wie an Psychologisierung oder Zwischentönen. Seine Figuren sind wie mit dicken Pinselstrichen in die Szenerie gestellt, die gerne und lang gegeneinander monologisieren und dabei so lange die Worte verdrehen, bis sie ihnen den Sinn zertrümmern und aus dem Unsinn einen neuen, sch(m)erzhaften Sinn gewinnen. Der spielerische Umgang mit Sprache macht einen besonderen Reiz seiner Filme aus, die aus ihrer literarischen Herkunft keinen Hehl machen: In DAS GESPENST wird aus der Polizei die Polizeit, die beiden saufenden Polizisten nennen sich Poli und Zisti, aus dem vom Kreuz gestiegenen Ober wird der Kruzifixi, dann der Fixikruzi und – weil ohne Kreuz – nur der Fixi und schließlich in einem Anflug von Erkenntnis der Nixi.
Achternbuschs Kino lebt vom Widerspruch und von den Widersprüchen. In seinen Filmen verschwimmen die Grenzen zwischen Artifiziellem und Amateurhaftem, sie lassen sich ebenso wenig einfangen, klassifizieren oder bändigen wie ihr Schöpfer, der, trotz aller Skandale, Anfeindungen und Förderungsentzüge weitergemacht und mit der Welt des Autorenfilms, trotz einzelner personeller Verbindungen, nichts anzufangen wusste. Ein Solitär eben, ein »Querdenker«, als dieser Begriff noch keine Beleidigung darstellte, ein anarchisches Gesamtkunstwerk. Und einer, der jenen, die sich in Bayern fest im Würgegriff der konservativen Volksseele wähnen, Sprachrohr und Vorbild zugleich war. (Florian Widegger)