Retrospektiven
KINORESONANZEN
100 Jahre Republik
15.11.–6.12.2018
Die ausgewählten Filme eint eine gewisse zeitliche Unmittelbarkeit (manchmal auch Dringlichkeit): Statt auf Geschichtsforschung oder Vergangenheitsbewältigung zu fokussieren, befinden sich FilmemacherInnen und ZuschauerInnen gleichermaßen »mittendrin« im Geschehen. Etwa im Roten Wien der 1920er- und 30er-Jahre, als die Republik zahlreichen inneren Konflikten ausgesetzt war – und in größter Not ein SONNENSTRAHL den Blick dafür frei machte, wie das Zusammenleben auch sein könnte. Eine utopische Märchenrevue wie 1. APRIL 2000 ist nicht weniger als die Bestandsaufnahme des besetzten Staats, der am liebsten die jüngsten Ereignisse aus seinen Geschichtsbüchern streichen und dafür auf gloriose Errungenschaften ferner Zeiten verweisen möchte. Umso deutlicher hinterlassen später KASSBACH und seine Kameraden ihre Spuren in diesem gesellschaftlichen Vakuum. Spätestens ab den 1990er-Jahren findet ein Paradigmenwechsel statt: Vorrangig sind es engagierte Dokumentarfilme, in denen sich Widerstand und Systemkritik wiederfinden. Der Omnibusfilm ZUR LAGE oder Peter Kerns grelle Satire HAIDER LEBT – beides Reaktionen auf Schwarz/Blau I – bleiben Ausnahmen, möglicherweise auch, weil langwierige Produktionsprozesse Spielfilme als eine direkte Reaktion auf Zeitumstände verunmöglichen. Mit WALDHEIMS WALZER schließt sich der Kreis zu unserer Nachbilder-Schau vom März: Obwohl diese Ereignisse bereits über 30 Jahre in der Vergangenheit liegen, ist der Film heute aktueller denn je. (Florian Widegger)