Retrospektiven
STEINWENDNER/STENVERT
Zum 100. Geburtstag
7.9.–11.10.2020
1920 in Wien geboren, zieht es Kurt Steinwendner bereits im Kindesalter hin zur Malerei. Während des Zweiten Weltkriegs wird er noch für ein Studium an der Akademie der bildenden Künste zugelassen, muss dieses aber unterbrechen, als ihn der Einberufungsbefehl ereilt. Nach dem Krieg ist er einer der Mitbegründer des Wiener Art Clubs, ein Sammelbecken für Künstler aus verschiedenen Disziplinen, die sich untereinander austauschen und Ausstellungen organisieren. Mit seinen surrealistisch anmutenden Bildern und der Glasskulptur »Violinspieler in vier Bewegungsphasen«, die wenig später auch in Johann Alexander Hübler-Kahlas’ Wiener-Weltschmerz-Komödie DIE WELT DREHT SICH VERKEHRT zu sehen ist, macht er sich einen Namen. Gemeinsam mit dem Fotografen und Psychologen Wolfgang Kudrnofsky realisiert er seinen ersten Kurzfilm, DER RABE, nach dem Schauergedicht von Edgar Allan Poe, das die beiden in eine suggestiv-assoziative Formensprache übersetzen und mit elektronischer Musik unterlegen. Die knapp 15 Minuten gelten heute als Geburtsstunde des heimischen Avantgardefilms.
Von dieser Erfahrung beflügelt, beginnt Steinwendner mit der Arbeit an seinem Spielfilmdebüt WIENERINNEN. Demonstrativ lässt er dabei die »offiziellen« Stadtbilder hinter sich und zeigt ein Wien, das Anfang der 1950er-Jahre in keinem Reiseführer zu sehen ist: die Welt der Ziegelarbeiter, Strizzis, Säufer und Dirnen. Die vier Episoden des Films, die allesamt an den Stadträndern entstehen, erzählen von Eifersucht, unerfüllter Liebe und schicksalsschweren Entscheidungen. Ganz offensichtlich vom italienischen Neorealismus beeinflusst, stößt der Film im heimatfilmverwöhnten Österreich auf wenig Gegenliebe – zu düster scheinen die Geschichten, zu freizügig die Frauenfiguren, zu verspielt die Bildkompositionen. Wenig verwunderlich, dass Steinwendner seinen nächsten Film am ländlichen Neusiedlersee anlegt, wo ein Kriminalfall ein Dorf erschüttert. Doch auch hier nutzt er die Landschaft nicht, um darin zu schwelgen, sondern weiß die bedrückende Enge der bäuerlichen Gemeinschaft in entsprechenden Bildern einzufangen. Obwohl der Film etwas positiver als sein Vorgänger wahrgenommen wird und sogar von einem Neubeginn der heimischen Filmszene die Rede ist, bleibt FLUCHT INS SCHILF Steinwendners letzter Spielfilm.
Er widmet sich stattdessen seiner Kunst und dreht hauptsächlich Kultur-, Informations- und Industriefilme, die zumeist ganz im Zeichen des österreichischen Wiederaufbaus stehen und für deren Herstellung er 1957 sogar eine eigene Produktionsfirma gründet. Obwohl es sich bei diesen Filmen um Auftragsarbeiten handelt, bewahrt sich Steinwendner eine gewisse Gestaltungsfreiheit, die ihm mehrfach Auszeichnungen einbringen, etwa 1962 für seine Stadtimpression VENEDIG. Diesen Erfolgen zum Trotz wendet er sich im Lauf der Jahre zunehmend vom Filmemachen ab und widmet sich voll und ganz der Objektkunst und Malerei. Seine Wiederentdeckung als Regisseur erlebt er nur mehr kurz – 1992 verstirbt Steinwendner in Berlin. Ein faszinierender Solitär, der seiner Zeit um Jahre voraus war. (Florian Widegger)