Retrospektiven
Zbyněk Brynych
Filme zwischen Anarchie und Avantgarde
8.11.–29.11.2023
»Als ich 16 Jahre alt war, wollte ich selbstverständlich Gynäkologe werden. Mit 19 wollte ich ein Kommissar sein. Jetzt bin ich Filmregisseur, das ist so etwas dazwischen.« Brynychs unkonventioneller Werdegang beginnt als Trompeter in einem Prager Operettentheater, wo er auf niemand Geringeren trifft als Willi Forst, der für den jungen Mann zum Mentor und zur Inspirationsquelle wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt er erste Erfahrungen in der Filmwelt zu sammeln. Der Gewinn eines Drehbuchwettbewerbs ermöglicht es ihm, Kurzfilme zu realisieren, daneben arbeitet er als Regieassistent von Jiří Weiss und im Armeefilmstudio. Mit seinem ersten Langfilm VORSTADTROMANZE wird er nach Cannes eingeladen – und auch in den folgenden Jahren auf den Filmfestivals im Westen zum gern und häufig gesehenen Gast, während er bei sich zu Hause als Außenseiter gilt, dessen Arbeiten zwar künstlerisch ernst genommen, aber nicht immer verstanden werden. Höhepunkt in dieser Schaffensperiode Brynychs ist eine Trilogie zu den Schrecken des Nationalsozialismus. Dabei sind diese Arbeiten durchaus allegorisch auf die Gegenwart ihrer Zeit zu lesen: Immer wieder finden sich seine Protagonisten gegen ein übermächtiges System ankämpfend in einer moralischen Zwickmühle wieder, in der sie schließlich zum Handeln aufgefordert sind.
Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts verlässt Brynych seine Heimat Richtung BRD, wo er beim Münchner Fernsehproduzenten Helmut Ringelmann unterkommt und zunächst vier Episoden der Krimiserie DER KOMMISSAR dreht: »Vier kurze Filme, die an schierer Vitalität der Erzählweise und der Figuren – und an heute noch glücklich machender BRD-Schmutzigkeit – so ziemlich alles schlagen, wovon das deutsche Fernsehen – und der deutsche Film sowieso – je zu träumen gewagt hätte«, schreibt Filmemacher und Brynych-Bewunderer Dominik Graf, der am 18. November im METRO Kinokulturhaus auch persönlich anwesend sein wird. Mit seinen drei extravaganten Kinofilmen stößt er damals auf Unverständnis – heute gelten sie als radikal, ekstatisch und sehr progressiv. Ist Brynychs Filmschaffen zu diesem Zeitpunkt bereits extrem disparat, wird es ab den 1970er-Jahren erst recht unüberschaubar: Zurück in seinem Heimatland, inszeniert er weitgehend ideologiekonform, um bei seinen Ausflügen in die deutsche Fernsehlandschaft auf den Putz zu hauen. Bis zum Schluss bleibt er ein unermüdlicher Arbeiter, ein Erneuerer mit unverwechselbarer Handschrift. (Florian Widegger)