Retrospektiven
Zeitenwende 1918
10.11.–6.12.2018
Obwohl sich das industrielle Zeitalter bereits im 19. Jahrhundert wie eine mächtige Kontinentalplatte in den Boden Europas grub und für sozial bedingte Eruptionen sorgte, schien die feudale Lebensweise führender Schichten davon kaum berührt. Insbesondere der Beamtenstaat des Habsburgerreiches hinterließ dank der epochalen Figur an der Spitze beim sanften Hinübergleiten ins Novecento einen äußerlich stabilen Eindruck. Während die führenden Staaten Westeuropas durch die Ausbeutung ihrer Überseekolonien florierten, schuf sich die Habsburgermonarchie ihr De-Facto-Kolonialreich praktisch vor der Haustür. Nach dem Einmarsch in Bosnien und Herzegowina war nur mehr das Königreich Serbien ein unbequemes Hindernis auf dem Vormarsch Richtung Süden. Schon lange vor den Schüssen in Sarajevo häuften sich die Signale einer antiserbischen Stimmung vor allem im Generalstab der K.-u.-k.-Armee. Der Wunsch, Serbien militärisch zu überrollen, gipfelte in dem aggressiven Motto »Serbien muss sterbien!«. In Götz Spielmanns feiner Version einer Arthur-Schnitzler-Vorlage, SPIEL IM MORGENGRAUEN, wird diese Stimmung im Offizierskorps am Vorabend des Weltenbrandes exakt beschrieben. Bernhard Wicki wiederum schildert in seiner genialen Joseph-Roth-Verfilmung DAS FALSCHE GEWICHT die profunden Risse an der galizischen Peripherie des Imperiums. Die kulturellen Innovationen inklusive Fotografie und Film schufen neue Perspektiven, konnten jedoch den Ausbruch der Apokalypse nicht verhindern. Die Agonie nach vier verheerenden Kriegsjahren sorgte schließlich für das Zerbrechen der absolutistischen Monarchien in Europa. (Helmut Pflügl, Duško Dimotrovski)