»Kino Welt Wien«, die aktuelle Ausstellung im METRO Kinokulturhaus, widmet sich der bald 125-jährigen Geschichte der Wiener Lichtspielhäuser. Einzigartige Originalexponate und zahlreiche Themeninseln vermitteln anschaulich die bis heute ungebrochene Faszination des Kinos in unserer Stadt.
Mit dieser digitalen Präsentation und zahlreichen Bild- und Filmdokumenten laden wir Sie herzlich ein, in die vergangene und heutige Wiener Kinogeschichte einzutauchen.
KINO WELT WIEN
Das Grundprinzip des Kinos: ein Projektor wirft bewegte Bilder auf die Leinwand und fesselt den Blick der ZuschauerInnen. Für die Dauer des Films sind sie im Kino und doch in einem anderen Raum – der Wirklichkeit, der Fantasie, der Emotion, der Manipulation?
»Cinema Live!« mit Nikolaus Wostry im METRO Kinokulturhaus, März 2020
Kino ist eine individuelle Erfahrung, die alle Sinne reizt. Und es ist ein kollektives Erlebnis, das auf die Gemeinschaft einwirkt. Es verfügt über die Macht, Menschen zu bezaubern und zu verführen, zu beeinflussen und zu lenken – für die Dauer des Films und darüber hinaus. Denn hinter der Leinwand ringen Sensation, Bildung, Kapital, Kunst und Politik um die Gunst des Publikums.
SENSATION!
Die ersten Kinos in Wien
Ein Vertreter der Brüder Lumière veranstaltet ab Ende März 1896 in der Kärntner Straße 45/Ecke Krugerstraße 2 regelmäßige Vorstellungen von »lebenden Bildern«.
Ausschnitt aus ENTRÉE DU CINÉMATOGRAPHE À VIENNE (F 1896). Rechts oben ist das Schild des Cinématographe (1., Kärntner Straße 39) zu sehen.
Schausteller und Schaustellerinnen machen die Neuheit in ganz Wien bekannt. Sie gehen auf Wanderschaft, präsentieren sie in Zelten, Varietés und Gasthäusern und vor allem in Schaubuden im Prater.
Kino Klein im Prater, 1905
Kino Stiller im Prater, um 1912
Schließlich entstehen immer mehr feste Spielstätten. Um 1910 hat die Sensation ganz Wien erobert und bald auch schon ihren eigenen Namen: Kino.
DAS KINOVOLK
Urania-Kino, Kassenhalle und Buffet, um 1925
Das Kino gilt als Vergnügen der »kleinen Leute«. Die Karten sind günstig, der Kinosaal ist schlicht und in der Dunkelheit verliert jedes Kostüm seinen Glanz. Die Filmvorführung ist nicht gänzlich stumm, sondern begleitet von einer Geräuschkulisse aus Musik, Kommentaren, Essen, Trinken, Kommen und Gehen.
Kundgebung für Kaiser Franz Joseph vor dem Brigittenauer Kino anlässlich seines Geburtstages, ca. 1910
DAS LADENKINO UND DER FILMPALAST
Noch vor 1910 wandelt sich die Kinematografie von wandernden Schaustellungen zu festen Einrichtungen. Erdgeschoßräume von Geschäften und Lokalen werden zu Ladenkinos umgebaut, in Wien auch „Schlauchkinos“ genannt. Im Gegensatz zu Berlin gibt es in Wien kaum frei stehende Kinoneubauten, doch es entstehen repräsentative, reich dekorierte Fassaden und prunkvoll ausgestattete Kinosäle. Allerdings werden immer wieder repräsentative Veranstaltungsräume wie Theater, Varietés oder auch Zirkusgebäude zu Kinos umgebaut.
Perolin-Spritze, um 1918
Bis in die 1950er-Jahre waren die Kinosäle häufig überfüllt, effiziente Lüftungsanlagen kamen nur selten zum Einsatz. Zur Desinfektion und Verbesserung der Luftqualität wurden daher Perolin-Spritzen eingesetzt, die den Duft von Tannenwäldern verbreiteten.
DER KINOBETRIEB
Die ersten Kinobetreiber und Kinobetreiberinnen gehören zum Gewerbe der Schausteller. Mit der Gründung des Reichsverbandes der Kinematographenbesitzer in Österreich bildet sich 1907 eine eigene Interessensvertretung und mit der Kinematographischen Rundschau ein Presseorgan. Die erste staatliche Kinoverordnung wird 1912 verabschiedet und damit das Kino gesondert unter Zensur gestellt.
Schließlich entwickeln sich Kino und Film zu einem einträglichen Wirtschaftszweig. Bis in die 1930er-Jahre hat Wien fast 200 Kinos, von denen ein beachtlicher Teil von Frauen geführt wird.
Schild des Reichsverbandes der Kinematographen-Besitzer, ca. 1910er-Jahre
Branchentreffen bei der ersten Kinoausstellung in Wien 1912
Mizzi Schäffer
und ihr Prachtetablissement
Die Theaterschauspielerin Mizzi Schäffer eröffnet 1906 das Grand-Kinematographentheater in der Mariahilfer Straße im 6. Bezirk und führt es gemeinsam mit Franz Haushofer.
Es gilt als Prachtetablissement, das durch eine moderne Klimatisierung auch in hygienischer Hinsicht neue Standards setzt.
Werbeplakat für Mizzi Schäffers Grand Kinematographentheater, um 1908
Das Schäffer-Kino besteht bis 1989 am selben Standort. In den letzten Jahren ist es ein Pornokino.
Johann und Sophie Nehez
Zentral-Theater in Ottakring
Reklame des Zentral-Theaters, O.J.
Johann Leopold Nehez eröffnet 1906 im 16. Bezirk das Elektro-Theater American Bioscop in der Ottakringer Straße. Seine Ehefrau Sophie legt 1908 als erste Frau in Österreich die Prüfung der Kino-Operateure ab, sitzt an der Kassa und springt bei Bedarf als Filmvorführerin ein.
1911 übersiedeln sie in ein eigens errichtetes Gründerzeithaus am Johann-Nepomuk-Berger-Platz. Im Erdgeschoß befindet sich das Kino, nunmehr Zentral-Theater genannt, und in den oberen Stockwerken Wohnungen. Das Ehepaar betreibt in Wien mehrere Kinos und gehört zu den bekannten Größen der Branche. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernimmt ihr Sohn das Kino und führt es bis zur Schließung 1966.
Elektrisier-Automat um 1910 | Telefon aus der Vorführkabine des Zentral-Theaters | Werbegeschenk: Hülle für Streichholzschachteln, 1912
DAS ROTE KINO
Briefkopf der Kinobetriebsanstalt Ges.m.b.H. (Kiba), 1929
Das »Rote Wien« gründet 1926 die Kinobetriebsanstalt Kiba. Das Kino soll gezielt für Parteipropaganda und die sozialistische Reform der Gesellschaft genutzt werden. Schließlich setzen sich kapitalistische Interessen durch und die Programme der Kiba-Kinos unterscheiden sich nicht von anderen.
Anzeige der Kiba, »Mein Film-Buch« vom Tonfilm, hg. von Friedrich Porges, Wien 1933 | Eröffnung des Apollo-Kinos, »Der Kuckuck«, 22. September 1929 | Plakat des Apollo-Kinos, 1929
Schon die Übernahme des Apollo-Theaters und dessen Umbau zu einem Tonkinopalast 1929 stehen unter Kritik. Schließlich entwickelt die Kiba monopolartige Strukturen. Sie bleibt bis 1999 bestehen.
Still aus dem Kinospot KIBA IST KINO
Enteignung, Vertreibung und Mord jüdischer Kinobesitzer_Innen
Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme werden Jüdinnen und Juden die Beschäftigung in Kinos, deren Besuch sowie Besitz verboten. Gut die Hälfte aller Eigentumsverhältnisse ist davon betroffen. Die Jüdinnen und Juden verlieren nicht nur ihr Eigentum, sie werden auch in Lager deportiert, so sie nicht aus Österreich fliehen können. Viele schon lange parteitreue NationalsozialistInnen profitieren davon. Die Kinos erhalten »arische« BesitzerInnen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird nur ein Bruchteil der Kinos restituiert. Stattdessen übernimmt die Kiba viele der Standorte.
Kino und Wiederaufbau
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erleben die Kinos neuerlich einen enormen Zulauf. Vor jedem Filmprogramm gibt es Wochenschau-Berichte, zunächst eigene Ausgaben der Alliierten, ab 1949 die Austria Wochenschau.
Signation der Austria Wochenschau, 1950er-Jahre
Die Bedeutung dieses damals wichtigsten Nachrichtenmedium spiegelt sich auch in der Gründung eigener Wochenschau-Kinos wider. Bis in die 1960er-Jahre bilden die in Wien damals flächendeckend vorhandenen Kinos das mit Abstand beliebteste Kultur- und Freizeitangebot.
Non-Stop-Kinos
Non-Stop-Kinos
K WIE KOTAS ODER KINO
Der Architekt Robert Kotas (1904–1973) wird in den Nachkriegsjahrzehnten zum formgebenden Planer der Kiba. Seine Kinos sind vom Entree über die Bar bis hin zum Kinosaal durchkomponierte Raumerfahrungen voll moderner Eleganz und Großzügigkeit.
Forum Kino
Neubau 1950
Neubau 1950
Seine Kinobauten sind bewusst zeitgenössisch und stehen für den vom Ballast der Vergangenheit befreiten Blick nach vorne. Als Markenzeichen hat Kotas das K. des jeweiligen Kinonamens immer in derselben Form ausgeführt.
DAS KINO UMS ECK
Bis in die ersten Nachkriegsjahrzehnte erfüllt das Kino die Funktion eines Nahversorgers, doch schon in den 1980er-Jahren gibt es nicht mehr in jedem Bezirk ein Kino.
Die Megakomplexe in den Außenbezirken sind nicht mehr auf die BewohnerInnen des Grätzels ausgerichtet, sondern auf ein Publikum, das aus einem größeren Einzugsbereich mit dem Auto anreist. Die kleinen Kinos in den Bezirken beheimaten heute vielfach Banken, Supermärkte, Drogerien und Theaterräume.
Kinowerbung
Von Anbeginn wurde das Massenmedium Kino auch für die Platzierung von Werbeeinschaltungen vor dem Hauptprogramm genutzt. Die Bandbreite reicht von handgeschriebenen Werbedias der lokalen Wirtschaft über professionelle Kinowerbefilme bis zu politischen und propagandistischen Botschaften. Die im Filmarchiv aufgebaute Sammlung historischer Kinowerbe-Dias, -Filme und Trailer repräsentiert ein spannendes Kapitel österreichischer Wirtschafts- und Alltagsgeschichte.
Kino-Dia, 1938
Kino-Dia, ca. 1943
Kino-Dia, 1945
Kino-Dia, 1947
Kino-Dia, 1950
Kino-Dia, 1960
MULTI UND MEGA
In den 1980er-Jahren werden viele Kinos – nicht zuletzt der Betriebsgesellschaft Kiba, wie Auge Gottes und Kolosseum – in Mehrsaalkinos umgewandelt.
Die Multiplexe verfügen über mehrere Säle unterschiedlicher Größe und können eine größere Zahl an Filmen zur selben Zeit anbieten. Als die Kiba 1999 aufgelöst wird, geht ein Teil der Kinos an die Constantin Film. Letztere ist mit ihrem Tochterunternehmen Cineplexx der heute größte Kinobetreiber Österreichs.
Von den noch etwa 30 bestehenden Wiener Kinos gehören neun der Gruppe an, mit einer Kapazität von mehr als 13.000 Sitzplätzen.