Retrospective
Ernst Lubitsch
Master of Comedy
6.12.2024–8.1.2025
Zu Beginn seines Films DIE PUPPE aus dem Jahr 1919 sieht man den elegant gekleideten Lubitsch, wie er aus einer großen Schachtel die Szenerie seines Films als Pappminiatur holt und sie Stück für Stück zusammenbaut. In diesem Moment gibt sich der Spielleiter als solcher seinem Publikum zu erkennen. Weit mehr als das Spiel mit der vierten Wand verweist dieser Kniff auch auf einen grundsätzlichen Aspekt in Lubitschs Schaffen: Seine Filme sind die Produkte seiner Fantasie, die in den allermeisten Fällen keinem klassischen Realitätsanspruch unterliegt. Ob das Frankreich zur Zeit der Revolution, das kaiserliche Wien, das Paris der Gegenwart oder der »Shop around the Corner« – sie sind Ausdruck einer Sehnsucht nach Welten und Zeiten, in der die Menschen besser miteinander auskommen (lernen) als in jenen, in denen die Filme entstehen.
Lubitsch wird 1892 als Sohn aschkenasischer Juden in Berlin geboren. Sein Vater, Inhaber eines Geschäfts für Damenmäntel, hätte gerne, dass der Sohn in seine Fußstapfen tritt – doch den zieht es mit 16 Jahren zum Theater. Ab 1911 steht er bei Max Reinhardt auf der Bühne, zwei Jahre später wechselt er bereits zum Film und macht sich, erst als Darsteller mit Hang zur Selbstironie, in weiterer Folge auch als Autor und Regisseur, einen Namen. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wirkt er in 37 Filmen mit, viele davon heute verschollen. Da in dieser Zeit fast keine ausländischen Produktionen auf deutschen Kinoleinwänden erlaubt sind, kann er sich – häufig zumindest hier, dem Wunsch des Vaters entsprechend, in den Rollen vorlauter Lehrlinge – in die Herzen des Publikums spielen. Mit Beginn der Weimarer Republik ist die Welt eine andere: Soldaten sind out, preußische Tugenden ebenso, stattdessen weht für ein paar Jahre der Hauch der Anarchie über Berlin – eine Zeit, in der Lubitschs zunehmend größer dimensionierte Historienfilme und Komödien entstehen und in der er den Kintopp-Slapstick der frühen Jahre in Richtung Satire hinter sich lässt, dabei aber nie die menschliche Komponente der oft übergroßen Figuren aus den Augen verliert.
Mit gerade einmal 30 Jahren geht er – auf Geheiß Mary Pickfords, mit der er sich allerdings nach dem ersten Film überwirft – in die USA, wo er seine Karriere bruchlos fortsetzt. »I prefer Paris, Paramount to Paris, France«, so bringt Lubitsch sein Faible für die Künstlichkeit und Kunstfertigkeit der Arbeit in den Studios auf den Punkt, in denen seine Filme zum Leben erwachen. Dem Hays Code, der ab den 1930er-Jahren für eine moralisch saubere Leinwand sorgen soll, stellt er die Kunst der Andeutung entgegen: Eine verschlossene Tür vermag die Fantasie des Publikums erst recht anzuregen. 1934 wird er in einem Song der Yacht Club Boys als »King of all Directors« bezeichnet, vor seiner Kamera finden sich die großen Stars ihrer Zeit ein, kurzzeitig ist er gar Produktionschef bei Paramount. 1947 wird er endlich mit dem Ehrenoscar für sein Lebenswerk bedacht, wenige Monate darauf stirbt er. Auf der Beerdigung entgegnet Billy Wilder – in dessen Büro ein Schild mit der Aufschrift »How would Lubitsch do it?« ihn stets an den Freund und geistigen Vater gemahnte – auf William Wylers Seufzer »No more Lubitsch!« schlicht: »Worse … No more Lubitsch films!« Er dürfte damit in mehrerer Hinsicht leider recht behalten haben. (Florian Widegger)