Retrospective
Kino im Kino
Ein Ort und seine Filmrollen
6.3.–1.4.2020
Das Kino. Ein Mikrokosmos von unendlicher Weite. Sobald das Licht ausgeht, scheint man fast existenzialistisch auf sich zurückgeworfen, unmittelbar mit Bildern, Tönen, Eindrücken konfrontiert, mit eigenen Assoziationen und Emotionen. In der vermeintlichen Einsamkeit des Kinosessels herrscht eine enorme Intimität, und doch gibt es kaum einen vergleichbaren sozialen Erlebnisraum, der – unabhängig irgendwelcher Attribute – allen Menschen offensteht, sie gleichzeitig fesseln, herausfordern, berühren kann. Man lacht zusammen, weint, erschrickt und schreit, ein Saal voller Individuen mit ihren je eigenen Geschichten transzendiert sich zu einem gelegentlich raschelnden, im Rhythmus des Films atmenden Organismus.
Kino ist aber auch Betrieb, Umschlagplatz der Kulturproduktion, ausgesetzt den kompromisslosen Mechanismen der Marktwirtschaft. Einige der Lichtspielhäuser, die wir in dieser Retrospektive betreten, haben es nicht geschafft oder prognostizieren filmisch ihren Untergang. Die technischen und finanziellen Rahmenbedingungen haben sich dramatisch verändert, mit Netflix und Co hat sich das Heimkino in einer gänzlich neuen Dimension etabliert. Kino dagegen lebt, sieht man von den großen Ketten ab, von seinen Menschen – jenen hinter den Kulissen wie jenen im Saal. Auch wenn seine hohe Zeit vorbei zu sein scheint, das Kino immer wieder totgesagt wird: seine Kunst und Faszination bestehen gerade darin, sich aus der Wirkung, die es erzeugt, zu speisen. Nicht selten liefern jene, die vom Virus gepackt sind, die großen Geschichten für die Leinwand: »Wenn mich Leute fragen, ob ich in Filmschulen gegangen bin, dann sage ich ihnen: Nein, ich bin in Filme gegangen.« (Quentin Tarantino)
So entstehen Liebeserklärungen in allen erdenklichen Facetten – wundervoll poetisch wie NUOVO CINEMA PARADISO oder HIMMEL ODER HÖLLE, leidenschaftlich kämpferisch wie OUT OF PRINT, hymnisch exzessiv wie INGLOURIOUS BASTERDS. Kino ist seit jeher auch ein Ort der Selbstreflexion, an dem Film und Business oft lustvoll paraphrasiert oder gnadenlos durch die Mangel gedreht werden, wie in SHERLOCK JR. oder SUNSET BOULEVARD.
Als Ort jenseits des heimischen TV-Geräts verlangt das Kino, die Komfortzone zu verlassen, sich auf etwas einzulassen. Die Leinwand sprengt die Grenzen der Realität, der Kinosaal flickt sie wieder zusammen. Singuläre Erfahrungen werden unmittelbar mit anderen geteilt. So wird ein Ort zu einem Lebensraum und zum Spiegel der Gesellschaft. (Florian Widegger, Silvia Breuss)