Retrospective
Peter Schreiner
Blick Richtung Mensch
10.11.–30.11.2022
Peter Schreiner ist eine der außerordentlichen Gestalten des österreichischen Kinos seit den 1980er-Jahren: ein sensibler Grenzgänger zwischen Spiel-, Dokumentar- und Avantgardefilm, dessen Schaffen lange Zeit abseits der ausgetretenen Verleih- und Festivalpfade zu Hause war.
Nicht, dass Schreiner es darauf angelegt hätte, ein Solitär zu sein. Wenig beseelt sein Kino so tief wie die Sehnsucht nach Begegnungen mit anderen Menschen. Entsprechend erzählen seine Werke immer wieder von Gruppen und deren Verhältnissen. Jeder Schreiner-Film ist ein Versuch in Entwicklung: Wie reagieren die Menschen aufeinander, welche Erinnerungen oder Wünsche provozieren diese arrangierten Begegnungen? Wie reagieren Menschen aufeinander, die sich schon lange kennen, wenn man sie vor eine Kamera stellt und bittet, etwas zu sagen oder tun? Während sich seine erste Schaffensphase (GRELLES LICHT bis BLAUE FERNE) vor allem um sein heimisches Umfeld dreht, wird mit BELLAVISTA die seelenverwandte Norditalienerin Giuliana Pachner zum Zentrum seiner Arbeit.
Und dennoch: Die zentrale Erfahrung seines Lebens war wohl, dass er anders ist als viele. Die Zeit an der Wiener Filmakademie, dominiert von brachialen Edelnormierern, war entsprechend furchtbar. Viel wichtiger für seine Entwicklung als Filmemacher war parallel dazu das Kollektiv »Rettet die Flieger«, wo er sich gemeinsam mit Bärbel Neubauer, Eva Beauvale und Niki List in einem erwartungs- wie druckfreien Raum kreativ erproben konnte. Seine Langfilme von GRELLES LICHT (1982) bis AUF DEM WEG (1990) wurden kaum zur Kenntnis genommen. Mit der ethnografischen Studie I CIMBRI (1991) gelang ihm ein erster internationaler Erfolg, dem mit BLAUE FERNE (1995) eine Art Kollaps folgte – die indifferente Aufnahme bei seiner Welturaufführung stürzte Schreiner in derartig tiefe Selbstzweifel, dass er mit dem Filmemachen aufhörte. Erst eine Dekade später präsentierte Schreiner mit BELLAVISTA (2006) einen neuen Film. Mit dessen Nachfolger TOTÓ (2009) wurde er in das offizielle Programm der Filmfestspiele von Venedig eingeladen – sein endgültiger Durchbruch. Schreiners Zeit war gekommen.
Sein formal festes, so asketisches wie visuell prachtvolles, intimes wie welthaltiges Kino dauernder Selbstbefragung und Fortentwicklung gehört seither zum fixen Programm vieler Festivals. Das Filmarchiv Austria präsentiert die bislang umfangreichste Peter Schreiner gewidmete Retrospektive, im Rahmen derer erstmals – als Teil eines großen Restaurierungsprojekts – die neuen Fassungen von GRELLES LICHT, ERSTE LIEBE und KINDERFILM zu sehen sind. Begleitet wird die Schau darüber hinaus von der ersten monografischen Veröffentlichung zu seinem Werk. (Olaf Möller)