Retrospective
SCHWARZE WELLE
KINOREBELLION IN DER TITO-ÄRA
2.5.–23.6.2019
In den 1960er-Jahren begann eine neue Generation jugoslawischer Filmemacher, gesättigt von der permanenten Inszenierung eines heroisch nationalen Gründungsmythos, sich entweder mit ungewohnten ästhetischen Mitteln der Gegenwart zuzuwenden oder das Heldentum der Partisanen zu hinterfragen, was zwangsläufig zu einer Entglorifizierung desselben führte. Das Sujet der Beobachtung zeitgenössischen Lebens animierte die jungen Regisseure zur Erprobung neuer ästhetischer Konzepte, die sich deutlich am Vorbild der Nouvelle Vague orientierten. Das bedeutete den Bruch mit konventionellen Formen des Erzählens: Genre- und Sujetgrenzen wurden gesprengt und individuelle Ausdrucksformen gesucht.
Während Aleksandar Petrović oder Živojin Pavlović lineare Narrative, garniert mit krassem Realismus, bevorzugten, sind Želimir Žilniks und Dušan Makavejevs Werke geprägt von einem Collagestil, der fiktive Sequenzen mit dokumentarischen Elementen zu kühnen Montagen fusioniert. Diese beiden Strömungen – die Hinwendung zum realen Alltag und die Hinterfragung des Partisanenheldentums – führten ab 1966 zur Herausbildung der Schwarzen Welle: Sie forderte die Politik heraus und rief nach einem besseren Sozialismus. Die Diskrepanz zwischen dem Alltagsleben und den propagierten Idealen bot eine ideale Angriffsfläche auf kleinbürgerliche und patriarchale Autoritäten.
Die Filme der Schwarzen Welle beleuchteten mit analytischer Schärfe und oft anarchischem Humor die Kehrseiten der Gesellschaft und schreckten vor keinem Tabu zurück. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Demokratisierung und Dezentralisierung der gesamten Filmproduktion in den 1960er-Jahren, die dem jugoslawischen Kino erstmals auch internationale Anerkennung verschaffte. Die offene Darstellung von Armut, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Schmutz und Gewalt blieb allerdings, vor allem ab den 1970er-Jahren, nicht ohne Gegenreaktion der Behörden.
Obwohl es offiziell keine Zensur gab, mussten einige Filme von der öffentlichen Bühne verschwinden, unliebsam gewordene Regisseure wurden in ihrer Arbeit massiv behindert. Das führte zu einer kurzfristigen Stagnation des kritischen Filmschaffens, die von der in Prag ausgebildeten Folgegeneration gegen Ende der 1970er-Jahre wieder überwunden werden konnte. Deshalb ergänzen zwei Filme aus dem folgenden Jahrzehnt diese Schau, in denen Goran Paskaljević und Emir Kusturica einen von subtilem Humor getragenen, subversiven Blick auf ihre Jugendzeit in den 1960er-Jahren werfen. (Helmut Pflügl, Duško Dimitrovski)