Retrospective
Sennenkino
Über Leben in den Alpen
3.10.–18.10.2023
Das Kino hat sich in seiner Geschichte ausführlich mit der Landwirtschaft beschäftigt. Von der Industrialisierung und Modernisierung des Agrarwesens ausgehend, beobachteten Filme die Bäuerinnen und Bauern in verschiedensten politischen Zusammenhängen und oft unter dem ethnografisch interessierten Eindruck einer aussterbenden Lebens- und Arbeitsform. Inzwischen hat sich die Landwirtschaft völlig gewandelt. Der Umgang mit Tieren und Agrarlandschaften steht nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise zur Debatte. Die alpine Berglandwirtschaft verdichtet diese Entwicklungen auf einen geografisch begrenzten, teilweise isolierten, in vielerlei Hinsicht extremen Raum.
Die Filme dieser Retrospektive, teilweise gedreht unter schwierigsten Bedingungen in Steilhängen und auf schneebedeckten Bergkuppen, zeugen von einer dem angeblichen Fortschrittsdenken geschuldeten Verdrängung von Kulturtechniken und Lebensformen. Sie beobachten eine zunehmende Entfremdung zwischen den Menschen und dem Boden, auf und von dem sie leben. An den Bergbauern, ihrer Kleidung, ihren Liedern, ihrem Aufbegehren und ihrem stoischen Vertrauen in sogenannte »konservative« Werte entzünden sich die großen Konflikte der letzten 150 Jahre. Das heißt aber nicht, dass es sich hierbei um historische Filme handelt. Egal aus welchem Jahr die ethnografischen Studien von Erich Langjahr, Michael Pilz oder Jacqueline Veuve, die dramatischen Unkenrufe Fredi M. Murers oder Michael Kochs auch sein mögen, sie berichten von drängenden Fragen der Gegenwart.
In der Diskussion rund um unsere Verantwortung gegenüber der Erde stellen diese Filme entscheidende Fragen: Wie wird unser Essen hergestellt? Wie nachhaltig gehen wir mit wichtigen Lebens- und Naturräumen wie den Alpen um? Wie tragen wir Sorge für kommende Generationen? Fortschritt und Tradition treten in einen wechselseitigen Windmühlenkampf, der von den zyklischen Rhythmen der Berglandschaft und dem unberechenbaren Klima der Alpen versinnbildlicht wird.
Die »Helden« dieser Filme sind die oft wortkargen, Pfeife rauchenden Bauern. Sie werden in Totalen vor majestätischen Landschaften und mit Nahaufnahmen ihrer von Sonne und Witterung zerfressenen Haut in Szene gesetzt. Die FilmemacherInnen widmen sich aber auch den Bäuerinnen und Kindern, den Berggeistern und grasenden Kühen sowie den sich über der Alm formierenden Wolken. Aus diesen nur scheinbaren Nebendarstellern erwächst das wirkliche utopische Potenzial der Filme, eines, das einen anderen Umgang des Menschen mit dem Planeten nahelegt. (Patrick Holzapfel)