Retrospective
Tribute to Jess Franco
Wild Weekend
23.2.–26.2.2023
Thema – Variation – Improvisation: Den Jazz hatte Jesús »Jess« Franco Manera nicht von ungefähr im Blut, beginnt er seine künstlerische Laufbahn zunächst als Musiker. Zum Kino wechselt er Ende der 1950er-Jahre und verbucht mit seinen ersten Kurz- und Langfilmen kleine Achtungserfolge. Francos Interesse verlagert sich jedoch schnell von den leichten Komödien hin zum Horrorkino, das er – da in seiner spanischen Heimat de facto verboten – bei seinen Besuchen in Frankreich kennenlernt, wo DRACULA UND SEINE BRÄUTE von Terence Fisher und AUGEN OHNE GESICHT von Georges Franju gerade für volle Kinosäle sorgen. Davon inspiriert, dreht er allen Widerständen zum Trotz mit SCHREIE DURCH DIE NACHT den ersten spanischen Horrorfilm und trickst mittels geschickter Verlagerung des Plots ins Nachbarland sogar die Zensoren aus – Franco gegen Franco: 1:0.
Zum endgültigen Autorenfilmer des Bahnhofskinos wird Franco dann Mitte der 1960er-Jahre. Da war er bereits Regieassistent von Orson Welles und hat seine eigene Filmsprache entwickelt, die alles in allem als furchtlos zu bezeichnen ist: reißerische Schwenks, delirierende Zooms, knallige Ausstattung, verträumte Musikuntermalung und immer wieder Geschichten von der Sehnsucht nach der Freiheit, nach dem Leben über den Tod hinaus. Egal ob verrückter Wissenschaftler oder lesbische Vampirgräfin – Francos Filmuniversum ist durchzogen von mehr oder weniger offensichtlichen Fabelwesen, die sich aus seinem Faible für Gothic-Literatur speisen und die sich ihrer Glücksmomente wegen ganz ihrer Ekstase hingeben. Bei kaum einem anderen Regisseur liegen Eros und Thanatos so nahe beieinander.
Allen Bewunderern (darunter auch Fritz Lang) zum Trotz – um seine Kino-Obsessionen finanzieren zu können, ist Franco auf Geldgeber angewiesen. Er findet diese in Harry Alan Towers, Artur Brauner, Robert de Nesle, Erwin C. Dietrich, kurzzeitig sogar bei der österreichischen Lisa-Film und Karl Spiehs. Deren Wünschen muss er sich weitgehend unterordnen. Doch selbst innerhalb von diesen engen Systemen, die viel mit den Versuchsanordnungen seiner Filme zu tun haben, versteht er es, sich kreative Freiräume zu schaffen, sich weiterzuentwickeln und Erwartungen zu unterlaufen. Die Anerkennung für all diese Mühen wird dem – einst laut der katholischen Kirche neben Buñuel »gefährlichsten« – Filmemacher erst in hohem Alter zuteil, als er, bereits schwer krank und begleitet von Standing Ovations, 2009 den Goya für sein Lebenswerk entgegennimmt. Und selbst danach dreht er noch drei Jahre lang weiter – bis zum letzten Atemzug. (Florian Widegger)