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Retrospektive
Landvermessung 2 »Prater Kino Welt«

Das Kino als Leitmedium der Moderne fand im Prater ein kongeniales Zentrum. Hier verwoben und durchdrangen sich Visionen und Projektionen der Vergnügungslandschaft mit jenen des Films – der Prater als Boulevard der Bilder, Institution beschleunigter Welterfahrung stand in elektrisierender Verbindung mit der Moving-Image-Kultur der Zeit. Mit der großen Praterzerstörung 1945 verlosch der wohl faszinierendste Kinoschauplatz dieser Stadt vorerst, im Nachkriegsfilm erfand er sich neu. Der zweite Teil der kinematographischen Landvermessung zeigt den Prater als wiederkehrendes und symbolträchtiges Leitmotiv der österreichischen Filmgeschichte.

Der Wiener Prater – ein Ursprungsmythos des Kinos

Bewegung, Beschleunigung, Illusion – im Wiener Prater war alles schon angelegt, als die »lebenden Photographien« im März 1896 in Österreich debütierten. Dann wurde dieses vergnügliche Labor der Moderne zur Geburtsstätte der Wiener Kinos und zu einem ersten Schauplatz des Films.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kamen die großen technologischen Innovationen in kurzer Folge zu massenhafter Verbreitung: die Eisenbahn, die Elektrizität und das Kino. Die Schausteller des Wurstelpraters schlugen aus diesen neuen Welterfahrungen rasch Kapital. Im Wiener Prater trafen die Maschinen zur Bewegung von Menschen und Bildern früh aufeinander. Bereits 1895 konnte man gleich neben einem Karussell Laufbilder in der sogenannten Kinetoskop-Halle bewundern, wo Edisons Guckkastenkinos als Münzautomaten aufgestellt waren. Und es waren die Praterschausteller, die bereits ab 1896 feste Kino-Betriebsstätten gründeten und damit die durch die ganze Welt tingelnde Erfindung der Gebrüder Lumière erstmals verorteten.

Die ersten Praterkinos boten Kurzfilmprogramme, die mit den puren Attraktionen des Kinos aufwarteten: rasende Fahrten mit Eisenbahnen und Automobilen, Bilder voller kolorierter Farben und mit Tricktechnik animiert, begleitet von Grammophon-Aufnahmen, Kinoerklärern und Live-Musikern. Sie zogen alle Register und sorgten für ein multimediales Spektakel.

Das Motiv der Bewegung übersetzte das frühe Kino mühelos und ganz direkt – sie wurde zur konstituierenden Kraft der Pionierfilme. In der 1911 aufgenommenen KAISER-HULDIGUNG IM WIENER K. K. PRATER (A 1911) verschmilzt das Kameraauge mit der Hochschaubahn und dokumentiert die rasante Fahrt über Berg und Tal aus Sicht der Fahrgäste. Das 1906 errichtete legendäre Praterkino Klein ist in diesem Film gleich zu Beginn zu sehen. Hochschaubahn und Kino – die alte und die neue Illusionsmaschine – befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft.

Die ersten abendfüllenden Praterfilme der 1920er-Jahre transformierten Bewegung von einem formalen zu einem dramaturgischen Prinzip. Erich von Stroheim ließ den Wiener Prater in MERRY-GO-ROUND (US 1923) als Kulissenstadt in Hollywood wiederauferstehen. Am Rummelplatz des Lebens lösen sich alte gesellschaftliche Ordnungen auf, neue werden begründet. In die Welt der Schausteller einzutauchen bedeutet auch ein Spiel mit der Identität.

In Gustav Ucickys PRATERMIZZI (A 1926) wird eine Grottenbahnfahrt zu einer Reise zum eigenen Ich. DIE KLEINE VERONIKA (A/D 1929) zeigt den Prater als abgründigen Ort großstädtischer Dekadenz, der für das Mädchen vom Land zur seelischen Bedrohung wird.

1936 entstanden gleich zwei Produktionen, die mit zu den schönsten filmischen Praterdokumenten zählen: PRATER porträtiert in überbordender Bilderflut zwielichtige Milieus und wurde von der Zensurbehörde in Berlin verboten. Bei HEUT’ IST DER SCHÖNSTE TAG IN MEINEM LEBEN war von vornherein klar, dass eine Auswertung in Deutschland aufgrund der NS-Rassengesetze nicht möglich war. Diese mit jüdischer Besetzung gedrehte Emigrantenfilm-Produktion zeigt den Star-Tenor Joseph Schmidt in seiner letzten Filmrolle. Auf der Flucht vor den Nazis starb er 1942 in der Schweiz.

Bis 1945 bildeten zwei Kinos, die alte Hochschaubahn und das Riesenrad das ikonografische Entree des Wiener Praters – gleichsam die ideale Verbindung zwischen Film und Vergnügungspark. Mit der großen Praterzerstörung im April 1945 wurde diese lange währende kulturhistorische Liaison aufgesprengt.

Das Kino fand danach nur mehr auf Umwegen zurück in den Prater. 1958 wurde er zum Sehnsuchtsort einer längst untergegangenen Welt verklärt (IM PRATER BLÜH’N WIEDER DIE BÄUME, A 1958). Eine gänzlich andere Richtung nahm gut 20 Jahre später Franz Novotnys EXIT … NUR KEINE PANIK (A/BRD 1980). Die Lust an der Dekonstruktion und produktiven Zerstörung mutet dabei wie ein kinematografischer Nachtrag zum Wiener Aktionismus an.

Ulrike Ottingers PRATER (A/D 2007) versammelt noch einmal Exponate und Versatzstücke der Pratergeschichte. In Josef Haders WILDE MAUS (A/D 2017) wird nach längerer Zeit der Prater wieder selbst – genauer gesagt eine auf das Jahr 1934 zurückgehende Hochschaubahn – zum Hauptdarsteller. Der Kreis schließt sich.

Kurator: Ernst Kieninger

Do, 06. Feb. - Di, 04. März
Do, 06.2., 18:00
Landvermessung 2
Prater (2007)
„Da waren also Buntheit und Vielfachheit all der Pratergeräte, nur dazu da, benützt zu werden, und den Benutzern etwas zu eröffnen, das sie immer wieder neu erscheinen lassen konnte.“ So resümiert Elfriede Jelinek ihre Prater-Erinnerung. Protagonist:innen, Schauplätze und Exponate emotionaler Achterbahnfahrten versammelt Ulrike Ottingers liebevolle Prater-Hommage und erkundet dabei die Kulturgeschichte dieses bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Weichbildes der Wiener Seele. (Ernst Kieninger
Do, 06.2., 20:00
Landvermessung 2
Wilde Maus
Hände hoch auf der maroden Achterbahn des Lebens: Beruflich ist er gerade mit Karacho aus der Kurve geflogen, auch privat läuft es immer unrunder. Jetzt schraubt Musikkritiker Georg, 50, auf Verrisse spezialisiert, im Prater gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitschüler und Neo-Kompagnon Erich an der Hochschaubahn „Wilde Maus“. Josef Haders gefeierter Debütfilm mit Georg Friedrich als ebenfalls durchgerüttelten Kopiloten: die fulminante Rückkehr des Kinos in den Wiener Prater. (Silvia Breuss)
Fr, 07.2., 20:15
Landvermessung 2
Exit... nur keine Panik
Böse Buben bevölkern dieses Wiener Roadmovie, das schnell in den Prater führt. Der sieht zwar immer noch so aus, wie man ihn sich vorstellt – Riesenrad inklusive. Dann aber erfolgt eine systematische Demontage. Es wird geprügelt, geschossen, gevögelt und gekotzt. Die ganze Bandbreite anarchischer Vorstadtmilieus führt Franz Novotny in grellen und schnellen Sequenzen vor. Kommuniziert wird auf Wienerisch, der Sprache, die dem Prater am nächsten kommt. (Ernst Kieninger)
Sa, 08.2., 18:00
Landvermessung 2
Vorstadtvarieté
Für diesen zeitkritischen Wiener Film verlegt Regisseur Werner Hochbaum das Bühnenstück DER GEMEINE (1899) von Felix Salten an den Vorabend des Ersten Weltkriegs und schafft damit unübersehbare Bezüge zum herrschenden Austrofaschismus. Dessen rückwärtsgewandte Ideologie bringt VORSTADTVARIETÉ in selten gesehener Schärfe zur Kenntlichkeit. Als Resonanzraum für dieses raffinierte Stück österreichischer Wirklichkeitsanalyse dient der Wiener Prater. (Ernst Kieninger)
So, 09.2., 18:00
Landvermessung 2
Die kleine Veronika
Die aus einem Tiroler Bergdorf stammende Veronika wird von ihrer Tante zur Firmung nach Wien eingeladen. Doch die faszinierende Großstadt entpuppt sich bald als Albtraum – denn die Tante betreibt hier ein Bordell. Der nach Felix Saltens Novelle im Prater gedrehte Streifen galt bis zur Wiederentdeckung durch das FILMARCHIV AUSTRIA im Jahr 2016 als verschollen. DIE KLEINE VERONIKA ist das Wiener Vermächtnis des österreichisch-jüdischen Regisseurs Robert Land, der 1940 im französischen Exil verstar
Mo, 10.2., 18:00
Landvermessung 2
Heut' ist der schönste Tag in meinem Leben
Diese österreichische Emigrantenfilmproduktion vereint einige der von den Nazis am heftigsten angefeindeten jüdischen Filmschaffenden noch einmal im Wiener Prater. Star-Tenor Joseph Schmidt spielt eine Doppelrolle und sorgt im Zusammenspiel mit den Komikern Felix Bressart und Otto Wallburg für Wien-Bilder voller Leichtigkeit – Bilder, die in krassem Widerspruch zum späteren Schicksal einiger Protagonisten stehen sollten. Schmidt, Wallburg und Forest wurden wenige Jahre später Opfer des NS-Regime
Di, 11.2., 18:00
Landvermessung 2
Wilde Maus
Hände hoch auf der maroden Achterbahn des Lebens: Beruflich ist er gerade mit Karacho aus der Kurve geflogen, auch privat läuft es immer unrunder. Jetzt schraubt Musikkritiker Georg, 50, auf Verrisse spezialisiert, im Prater gemeinsam mit seinem ehemaligen Mitschüler und Neo-Kompagnon Erich an der Hochschaubahn „Wilde Maus“. Josef Haders gefeierter Debütfilm mit Georg Friedrich als ebenfalls durchgerüttelten Kopiloten: die fulminante Rückkehr des Kinos in den Wiener Prater. (Silvia Breuss)
Mi, 12.2., 18:00
Landvermessung 2
Im Prater blüh'n wieder die Bäume
IM PRATER BLÜH’N WIEDER DIE BÄUME überblendet das Zerstörte und das Verlorene und führt direkt zurück in die Kaiserzeit, in die noch heile Welt des alten Wien. Ein Firnis aus farbprächtigen Praterbildern und zuckersüßen Melodien des aus dem Exil zurückgekehrten Robert Stolz klittert die brüchig gewordene Österreich-Erzählung. (Ernst Kieninger)
So, 23.2., 18:00
Landvermessung 2
Prater (1936)
Es gibt kaum einen Film, der ein dichter gewobenes, intensiveres Bild des alten Praters zeigt als diese Produktion. Wohl auch deswegen wurde PRATER, 1936 in Wien uraufgeführt, von der Berliner Zensur für den deutschen Markt verboten. Das mit Spielern, Frauenjägern und Selbstmördern angereicherte Wiener Halbweltmilieu lief den NS-Propagandisten zuwider. Erst nach Umstellungen und Interventionen war der nun unter dem Titel DER WEG DES HERZENS bekannte Film ab 1937 auch in Deutschland zu sehen. (Er
Mo, 24.2., 21:00
Landvermessung 2
Prater (2007)
„Da waren also Buntheit und Vielfachheit all der Pratergeräte, nur dazu da, benützt zu werden, und den Benutzern etwas zu eröffnen, das sie immer wieder neu erscheinen lassen konnte.“ So resümiert Elfriede Jelinek ihre Prater-Erinnerung. Protagonist:innen, Schauplätze und Exponate emotionaler Achterbahnfahrten versammelt Ulrike Ottingers liebevolle Prater-Hommage und erkundet dabei die Kulturgeschichte dieses bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Weichbildes der Wiener Seele. (Ernst Kieninger
Di, 25.2., 18:15
Landvermessung 2
Merry-Go-Round
Der in Hollywood errichtete Wiener Prater präsentiert sich in Erich von Stroheims MERRY-GO-ROUND als allegorischer Schauplatz für die gesellschaftlichen Verwerfungen rund um den Ersten Weltkrieg. Stroheims aufwendiger Inszenierungsstil kollidierte jedoch bald mit dem US-Studiosystem, woraufhin Rupert Julian mit der Fertigstellung des Films betraut wurde. In diesem Praterfilm-Monument strahlt Stroheims bitter-ironisches Wien-Universum dennoch eindrucksvoller denn je. (Ernst Kieninger) Live-Musik
Di, 04.3., 19:00
Landvermessung 2
Die Pratermizzi
Zuerst verliebt sich Baron Christian unsterblich in die herzige Prater-Kassiererin Mizzi, verfällt dann aber der rätselhaften Tänzerin Valette, die stets mit einer goldenen Gesichtsmaske auftritt – unter der sie ein Geheimnis verbirgt. DIE PRATERMIZZI ist Kriminal-, Detektiv- und Horrorfilm zugleich. Denn in dieser von Walter Reisch erdachten Wiener Liebesgeschichte verbirgt sich eine abgründige Expedition in die „geheimnisvollen Tiefen“ der menschlichen Seele. (Ernst Kieninger) Live-Musikbegle